dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Caputh, 16.5.36
Sonntag nachm.

Liebster Freund,
Deine Mahnung, noch vor Pfingsten zu antworten, habe ich zuerst scherzhaft aufgefasst und nun sind es wirklich nur noch 14 Tage bis zu jenem Endtermin! Besser Fristablauf. Man kommt ja ganz aus der Juristerei heraus, wenn man selber keine Prozesse mehr führt, den Freund kaum je spricht, als Vater einen beinah Arbeitslosen hat. – Dein Brief erwartete mich in Berlin, die Schule ging ja unmittelbar nach den Feiertagen an. Ich war eine Woche in Nbg. (Naumburg) + trotz Kälte außerordentlich erholt nach einem langen, anstrengendem Vierteljahr. – Dank auch für Brüsseler Karte: wo aber bleibt der mündliche Bericht? – Eure Gesundheitsverhältnisse machen mir rechte Sorge, und wenn ich auch vollkommen einsehe, dass die verschiedenen Leiden nicht zu beseitigende Ursachen haben, so denke ich doch manchmal, Du sowohl wie die Mummi Ihr solltet Euch einer „Internierung“ nicht so hartnäckig widersetzen. Wechsel von Luft + Umgebung tut oft Wunder. Bitte lass mich wissen, wie Du den Juni verbringst. Das Erfreulichste bei Euch ist ja zweifellos Renates Entwicklung. Die macht bestimmt ihren Weg. Peter hat es schwerer. Ulles Abitur liegt nun auch schon so weit zurück. Er hat es glänzend gemacht, als Einziger mit I, + sein Chef erwähnt ihn noch jetzt öfters liebend + rühmend, wobei dasn Dieters Bruderherz in Stolz höher schlägt. Der Held war ein paar Tage hier bei mir + ging Anfang April zum Arbeitsdienst nach Frohburg i. Sa., wo er es anscheinend recht gut getroffen hat; er lobt Kameraden, Landschaft + Essen, hatte schon 2x Heimurlaub, hofft aber auf baldige Verschickung seiner ganzen Kolonne in die Konstanzer Gegend. Von irgendwelcher Benachteiligung ist bisher keine Rede. Da er später Mathem-Physik studieren will, musste er ja den A.-D. absolvieren. Bleiben etwaige innere Sorgen um ihn, aber ich brauche solche eigentlich nicht zu hegen. Wir sind viel zu eng miteinander verbunden. Auf der Sommerreise wird mir ein Großer sehr fehlen, aber zum Trost dürfen Diet. + ich endlich, wie lange ersehnt, nach Südtirol! Ort steht noch nicht ganz fest. Wahrscheinlich wird es Colfosco, das mir von mehreren Seiten besonders gerühmt wurde.  Aber auch Sulden erwäge ich. Das entscheidet sich in den nächsten Tagen. Dieter war gleichfalls vor Ostern in Berlin, und wir hatten, glücklicherweise schon während meiner Ferien, entzückende Tage. Er ist ganz anders als sein angebeteter Bruder, temperamentvoller, unausgeglichener, demonstrativer, kindlicher, weniger tief begabt. Sein Mundwerk, seine Backfischkomik und seine unbekümmerte Zärtlichkeit mit mir (es macht ihm garnichts aus, mich im bevölkerten Warenhaus zu küssen, bloß so!)  sind ein Quell des Vergnügens. In Naumburg habe wir uns nochmal inoffiziell mit den Rädern getroffen. Nun zählt er die Tage bis zu den großen Ferien. Pfingsten gibt es kein Wiedersehen. Da werde ich mal wieder leichtsinnig sein und zu viert mit Lollchen (Annemarie C.) + zwei besonders netten Kolleginnen in unser liebes Althagen an d. Ostsee gehen. Schon zum 4. Mal. Wir können der Verlockung nicht widerstehen, obwohl wir seit dem 1. Mai wieder ein fabelhaftes Wochenend haben. Das ist uns richtig in den Schoß gefallen. Mit N.-Z. ging es doch nicht mehr, wie Du weisst. Nun sind wir mal im Westen gelandet, mit dem Autobus eine 1/2 Stunde über Potsdam hinaus, in herrlichster Gegend. Ich weiß nicht, ob Dir Schwielowsee, Malerdorf, Ferch und unser Caputh selbst Begriffe sind.Jedenfalls reicht unser Obstgarten bis an die Havel herunter, + z. Z. sitzen wir unter Apfel- und Fliederbäumen + sehen hinterm Zaun die Sonntagsschiffchen vorbeifahren. Unser Zimmer ist eine winziges besonderes Gartenhaus, unsere Wirtin eine nette nichtarische Dame. Wir kochen uns das notwendige auf Spiritus + sind völlig unabhängig + sehr glücklich. Dass ich Montag erst um 10h Schule habe, also bis morgen 7 1/2 Uhr hier bleiben kann, verdanke ich der besonderen Gunst meiner Brotherrin! Eben hat es sich endlich aufgeklart, die Sonne scheint auf dne Tisch, Loll kocht obern in unserem Schloss Kaffee. Gertraudchen hat es wieder unverdient gut.
Das überhaupt! Die Schule macht mindestens so viel Freude wie Arbeit und das will schon wass heißen, da ich seit Ostern (mit Flöten) 27 Wochenstunden zu geben habe, wozu allerhand Vorbereitung + Extrakram kommt, Feiern, Feste, Konferenzen usw. Den Muttertag vorige Woche habe ich auch geleitet + es war richtig stimmungsvoll + die Kinder fanden es schön.
Ich habe die (vier) Jungensklassen nun wieder + bin ihnen besser gewachsen als vor 2 Jahren. Mit Quinta + Sexta arbeitet es sich noch sehr nett. Wenn sie nachher im Stimmwechsel und flegelig sind, ist es schwierig. Aber es geht.
Schrieb ich schon, daß wir umziehen? Eine richtige große Schule, zu Fuß 25 Min. von meiner Wohnung, zu Rad nur 10 + so habe ich mir einen feinen Dürkopp gekauft + pendle damit genussreich, denn die Jungenklassen sind schon übergesiedelt. Eine große Erleichterung aus dem Privathaus herauszukommen, wo man soviel Rücksicht nehmen muss. Natürlich ist auch dies nur gemietet, nicht gekauft. Wer weiß denn, ob die Verhältnisse so günstig bleiben? Wir haben jetzt einschließlich Grundschule gegen 400 Kinder. Die größten (U II) werden schon gesiezt, was Anlass zu unaufhörlichem Vergnügen ist.
Der Kaffee ist da. Die Wirtschafterin wünscht mit Recht, er solle nicht kalt werden. Ich hemme also meinen Redefluß + erwähne nur noch, dass es den Eltern und Konrad befriedigend geht.
Lebwohl, Lieber Guter, + schweige nicht allzu lange.
Immer von Herzen G.