dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Döbeln, den 15.VIII.45

Mein lieber Onkel Drucker!

Kaum bist Dur wieder in Amt und Würden, komme ich schon angekleckert, um Dich in folgender Sache um Deinen Rat zu fragen. (Ich bitte Dich vorher vielmals um Verzeihung, falls ich Dich armen überlasteten Mann mit meinem u. fremder Leute Sorgen belaste!). Vor ca 8 Jahren verließ ein Landrat (Georg) Liebig Döbeln, d. h. er wurde vom Kreisleiter Baer hier fortgeekelt, mit dem er … Kräche hatte u. kam nach Kamenz, wo er bis jetzt als Landrat tätig war. Durch seine politische Einstellung hatte er auch dort wieder eine schweren Stand mit dem Kamenzer Kreisleiter, ja es ging so weit, daß er als erster auf einer schwarzen Liste stand, wonach außer ihm 7 Landräte auf Befehl von Mutschmann erschoßen werden sollten. Dies erfuhr er durch einen SS-Mann, der ihn heimlich warnte u. empfahl, irgendwohin zu fliehen, was er auch tat (mit Frau, einem taubstummen Sohn (2 gesunde Söhne verlor er im Felde) u. einer Tochter, nach dem Erzgebirge. Besagter SS-Mann wollte dorthin ihm Bescheid geben, wie die Dinge standen, da er nach Dresden sollte, um dort weitere Befehle entgegen zu nehmen. Inzwischen kam der erneute politische Umschwung u. besagter SS-Mann kam nicht zurück, lebt vielleicht nicht mehr. Liebigs sind dann, da sie dem Verhungern nahe waren auf einem Umweg über Döbeln, wo sie sich 14 Tage bei meiner Schwester erholten, nach Kamenz zurück, wo er sofort, wie sämtliche Landräte des alten Regimes, festgenommen wurde; seine Frau entließ man wieder aus der Haft. Man hat ihnen alles genommen u. all ihr Hab und Gut unter die Kamenzer Bevölkerung verteilt. Ein Teppich u. ihr Nähkasten sind das Einzige, was sie noch besitzt schrieb sie. Ihr taubstummer Sohn arbeitet bei einem Tischler u. erhält die Mutter u. Schwester mit 25 M Wochenlohn! Frau Liebig schreibt, sie würde alles ertagen, wenn nur ihr Mann frei wäre u. vor allem die körperlichen u. seelische Strapazen aushielte. (62 Jahre) Ich glaube, er war zuckerkrank. – Was ist nun zu tun? Kannst Du mir einen Rat geben, den ich der armen, schwergeprüften Frau übermitteln kann? Erst wollen ihn die Nazi-Bonzen erschießen, u. nun setzt ihn die Gegenpartei wieder gefangen! Ach, warum können sich die Menschen nicht vertragen?! Ich kann es nicht verstehen. Das Leben ist doch an sich schon schwer genug. Warum muß Einer ver… es noch mehr erschweren, statt daß man sich gegenseitig hilft. Ich als Frau, Künstlerin u. ausgesprochene Pazifistin kann das alles nicht verstehen. Unser Vater sagte immer zu uns Kindern wenn wir uns zankten, ein Wort aus der Bibel: Aber wo gibt es heute noch Liebe unter den Menschen?! Nächstenliebe? Vielleicht, wenn sie den Weg zum alten Herrgott zurück finden.
Ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du mir einen Bescheid gäbest Nur bitte verzeihe nochmals die Belästigung.
Arbeitest Du auch nicht zuviel? Herr Kohn sagte auch er fürchte, daß Du Dich übernimmst. Also bitte: denke auch Deine Gesundheit!
Sei für heute herzlichst gegrüßt auch von Mutter u. Tante Anna, besonders von Deiner

….

Von Onkel Karl (Klein) haben wir natürlich noch nichts gehört.