dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Naumburg, 1.7.36

Liebster Freund,

der Postillon animiert mich zum Schreiben. „Dran“ bin ich freilich nicht. Du schweigst so lange! Können wir uns nicht wirklich sehen, so lange ich hier bin? Komm doch, es ist so schön im Garten und wer weiß, wie lange noch! Ich bleibe weitere 8 Tage. Nächsten Mittwoch kommt Diet. , Donnerstag Abend reisen wir ab in die Dolomiten. Es wird also nun wirklich wahr. Ziel ist ein kleiner, sehr gerühmter Ort, Colfosco (Colfuschg), 1640 m hoch. Wir freuen uns beide ungeheuer. Nur dass unser Großer nicht mitkann. Er ist inzwischen nach Südwestfalen in ein Zeltlager versetzt worden + schreibt von da mit einer herrlichen jungen Begeisterung. Schöne Landschaft + besonders nette Bevölkerung.
Ich also genieße nun schon lange Ferien und genieße sie sehr. Die erste Woche blieb ich noch in Berlin, beziehungsweise Caputh. Dieses unser Wochenend hat sich als famoser Griff erwiesen. Man geht vom Garten aus direkt in die Havel, und hat mein keine Lust zum Laufen, so besteigt man drei Minuten entfernt ein Dampferchen.
Schule ist unentwegt schön. Ich kann mir – abgesehen von dem beglückenden Umgang mit Kindern – keinen interessanteren Beruf als Lehren vorstellen. Jede Stunde in jeder Klasse ist anders. Und Faulenzen gibt es nicht, denn von „Alle meine Entchen“ auf der Blockflöte bis zu 3stimmigen Reger-Sätzen oder Palestrina-Kanons ist doch ein weiter + abwechslungsreicher Weg. Neulich hat meine Lieblingsquarta ernstlich laut geschimpft, weil wegen Hitzefrei die Musikstunde ausfiel. Ist das vielleicht ein Triumph?
Die Eltern finde ich ganz schön imstande. Traurig, dass man an Abbruch hier denken muss. Aber wohl unvermeidlich.
Bitte lass von Dir hören, am besten mündlich. Sehr herzlich D. G.