dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

7. Oktober 1946

Lieber Karl!

Heute habe ich auf zwei Deiner Briefe zu antworten, erstens den vom 2. September und ferner den vom 23. September, eingegangen am 2. Oktober, der sich insbesondere mit Elsbeths (Wohlfahrt) Angelegenheit befasst.
Die Schilderungen, die Du in dem ersten Brief über Elsbeths und Annas (Klein) sowie der Heimreise von von Elsbeth Thiess gibst, hat mich erschüttert. Ich weiss selbst, wie schwierig auch kurze Reisen unter den heutigen Umständen sich gestalten. Was aber die drei Frauen auf der Reise von Döbeln nach Hamburg durchgemacht haben, geht über jedes erträgliche Mass hinaus. Auch Friedas und Erikas Schicksal beklage ich sehr. Es ist nur gut, dass sie bei Ilse Rösler ein Unterkommen gefunden haben. Vor einigen Wochen hörte ich von einem anderen Döbelner Arzt, dass dort beabsichtigt sei, sämtliche Aerzten, die jemals der Partei angehört haben, die Approbation zu entziehen. Glücklicherweise hat sich dieses Gerücht wenigstens bis jetzt nicht bestätigt.
Dass Du trotz der drückenden Zeitverhältnisse Dich zu einer literarischen Arbeit aufgeschwungen hast, sit bewundernswert. Ich glaube, dass ich dazu nicht imstande sein würde, selbst wenn die Prxis mir dazu die Zeit liesse. Ich begreife aber andererseits, dass Du und Deine Frau der bisher gewohnten Tätigkeit entsagt habt. Die Steuerschraube frisst sich zu tief in unser Arbeitseinkommen ein.
Was nun Elsbeths Angelegenheit angeht, so bedarf es wohl keiner Versicherung meinerseits, dass ich von Herzen gern alles, was irgend in Betracht kommen könnte, unternehmen würde, um ihr zu einer Steigerung der Pension zu helfen, wenn ich dazu nur irgendeine Möglichkeit sähe. Aber diese Möglichkeit besteht nicht. Die Pensionsverhältnisse sind in den einzelnen Zonen zentral geregelt. Ich glaube, dass Elsbeth als Witwe eines früheren Offiziers bei uns überhaupt keine Pension bekommen, sondern auf Fürsorgeunterstützung angewiesen sein würde. Ausnahmen im einzelnen Falle werden bei uns nicht gemacht, und vermutlich wird das in Hamburg nicht anders sein. Jedenfalls sehe ich mich ganz ausserstande, auch nur mit einem guten Rat einzugreifen. Das einzige, was ich anraten könnte, ist, dass Elsbeth sich bei einem Hamburger Rechtsanwalt befragt. Ich würde ihr Herrn Dr. Darboven vorschlagen, bei dem sie sich auf unsere Verwandtschaft beziehen kann. Seine Büroadresse, die ich hier in meiner Wohnung, wo ich diesen Brief diktiere, nicht zur Hand habe, kann sie dort leicht erfahren, da er einer der bekanntesten und angesehensten Rechtsanwälte in Hamburg ist. Auch bezüglich Franks  (Wohlfahrt) vermag ich nur eine Konsultation bei Dr. Darboven anzuregen. Nach den hiesigen Verhältnissen würde er Zuzugsgenehmigung keinesfalls bekommen, da er doch schon seit sehr langer Zeit von Hamburg abwesend ist. Dass dort sich noch die ehemalige Wohnung seiner Mutter befindet, würde nach den hiesigen Grundsätzen unbeachtlich sein.
Ich bedaure es sehr, nicht helfen zu können. Die Beilagen Deines Briefes füge ich wieder bei und bleibe mit herzlichen Grüssen an Dich und Deine Frau

Dein Vetter.