dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

870 West /81st Street
New York 33, N.Y.
20. April 1946

Sehr verehrter Herr Justizrat!

Meine Frau und ich möchten Ihnen sagen, wie sehr wir uns freuen, dass Sie die schweren Kriegsjahre überstanden haben und wieder in der Lage sind, Ihre alte Tätigkeit mit gewohnter Energie aufzunehmen. Ich weiss leider nichts über das Schicksal Ihrer nächsten Angehörigen und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir gelegentlich einige Zeilen zukommen liessen. Wahrscheinlich wird Ihre Arbeitszeit schwer überlastet sein, nehmen Sie sich aber einige Minuten Zeit, uns kurz das Wichtigste über Ihr Ergehen u. das Ihrer Familie mitzuteilen.
Von uns gäbe es vielerlei zu berichten, doch möchte ich mich kurz fassen, weil kurze Briefe nach den Kriegserfahrungen rascher befördert werden. Die ganze Familie Jolowicz einschliesslich Ernst, der zum dritten Mal geheiratet hat u. zwar eine um 30? Jahre jüngerer Frau – ist in New York vereinigt. Meine Schwiegermutter hat an  Lebhaftigkeit und Temperament, trotz der so gänzlich veränderten wirtschaftlichen Lage, nichts eingebüsst. Sie hat zeitweise einen nicht unwesentlichen Teil ihres Lebensunterhaltes sich selbst verdient, wobei ihr guter Humor manche Schwierigkeiten erleichterte. Auch meine Frau hat in den ersten Jahren in anstrengender und ermüdender Arbeit manchen Dollar zu Kosten für Wohnung und Essen beigetragen , doch jetzt ist die schwierigste Zeit überwunden. Ellen traf vor 2 Jahren von England ein, arbeitet als ….? bei einem Zahnarzt und fühlt sich recht wohl. Anneliese ist in ständigem Kontakt mit Elmar wegen der Kinder, die wahrscheinlich noch im Laufe des Jahres herüberkommen wollen. Elmar muss auch im Verlag sehr gut verdient haben, wie ich denn überhaupt glaube, dass es nicht viel Anstrengungen und Kenntnisse bedurft hat, um in diesen Zeiten einen wissenschaftlichen und technischen Verlag aufrecht zu erhalten. Käte ist stets guter Dinge und verdient auch gut. Walter hat ein sehr gut gehendes Antiquariat unter seinem neuen Namen Johnson (bis 1940: Walter Jolowicz), das in USA schon sehr gut bekannt ist und der Verlag die Academic Press ist zwar klein aber kräftig und entwicklungsfähig. Das ist jedenfalls die äussere Fassade, natürlich sieht es von innen nicht ganz so uncompliziert aus, wie es nach den obigen Bemerkungen den Anschein haben könnte. An das Grauenhafte, das in Deutschland geschehen konnten wir nur mit tiefster Empörung denken und es krampft sich in uns alles zusammen wenn wir an all die Menschen denken, die in den Gaskammern umgekommen sind.
Wir haben ja kaum noch Menschen in Leipzig, die uns einst nahe standen. Ich würde gern wissen, wie es Rolf Anschütz und seiner Familie ergangen ist. – Ist Ihre Wohnung unzerstört ?
Lassen Sie bitte gelegentlich von sich hören. Mit vielen herzlichen Grüssen von meiner Frau und mir

Ihr Kurt Jacoby