dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

29. Juli 1946.

Lieber Herr Dr. Jaffé!

Nachdem ich durch Herrn Dr. (Erich?) Krause über Ihr Ergehen unterrichtet worden war, hätte ich Ihnen gern bald geschrieben, wurde aber dann durch mein Kranksein gehindert, so dass Sie nun mit Ihrem Brief vom 18. Juni ds. Js. meiner Absicht zuvorgekommen sind. Dank der gründlichen Behandlung durch unseren gemeinschaftlichen Freund Dr. Krause bin ich inzwischen wiederhergestellt, wenn ich mich auch bei Benutzung meiner Arbeitsfähigkeit noch etwas temperieren muss.
Es war mir eine grosse Freude und starke Beruhigung, durch Dr. Krause über die glückliche Wendung in Ihren Schicksalen unterrichtet zu werden. Vorher schon war mir zu Ohren gekommen, dass Ihr Herr Sohn eines Tages hier mit der Absicht hier aufgetaucht sei, Sie mit nach England zu nehmen. Es hiess aber, dass sich dieser Plan nicht ohne weiteres habe verwirklichen lassen und dass Sie sich jetzt noch irgendwo in Deutschland befänden.
Ich sehe nun, dass es Ihrem Sohn doch gelungen ist, seinen Plan durchzuführen.
Der Mitteilung der juristischen Fragen die Sie mir vorlegen wollen, sehe ich gern entgegen und kann schon heute bemerken, dass die Geltendmachung von Wiedergutmachungsansprüchen noch vollständig im Argen liegt. Noch in keiner Zone besteht eine gesetzliche Regelung. Man weiss auch nicht, ob und inwieweit sie beabsichtigt ist. Wenn der Anspruchsberechtigte sich innerhalb Deutschlands befindet, so bedarf es meiner Ansicht zur Erhebung und Durchsetzung solcher Ansprüche keiner besonderen gesetzlichen Regelung. Die Begründung des Anspruchs ist einfach aus der Tatsache zu entnehmen, dass irgendwelche Vermögensstücke unter dem den Zeitverhältnissen entsprechenden Zwang in andere Hände übergegangen sind, auch wenn hierfür die Form oder der Schein eines Vertrages gewählt worden ist. Diese Begründung wird wenigstens in Sachsen oder vielleicht nur in Leipzig von den Gerichten als ausreichend anerkannt.
Ist aber der Anspruchsberechtigte nicht hier, so stösst die Geltendmachung der Wiedergutmachungsansprüche auf Schwierigkeiten. Näher darauf einzugehen, will ich aufschieben, bis Sie mir mitgeteilt haben, nach welcher Richtung im besonderen Ihre Ansprüche sich bewegen.
Sehr interessant waren mir Ihre Mitteilungen über so viele Persönlichkeiten, die in früheren Jahren Deutschland verlassen haben. Ueber manche hatte ich bisher noch gar nichts gehört, z. B. über Dr. Werner Salomon. Ueber Nachods wissen wir hier Bescheid. Aber auch uns hat Fritz Nachod nicht geschrieben, was uns Wunder nimmt.
Mein alter Onkel (Paul Drucker) aus Hamburg ist vollständig für uns verschollen. Am Tage vor seinem Abtransport nach Theresienstadt hatte er mir noch geschrieben, dass er unverzüglich nach seiner Ankunft dort mir Nachricht geben würde. Eine solche Nachricht ist nie eingetroffen, und meine Erkundigungen bei zahlreichen Heimkehrern aus Theresienstadt haben nur das Ergebnis gehabt, dass er offenbar dort gar nicht mehr eingetroffen ist. Auch Herr Stern und Frau Dr. Fiedler sind dort oder in einem anderen Lager umgekommen.
Wenn der von Ihnen erwähnte Bericht, den Sie für Ihre deutschen Freunde verfasst habe, noch weitere Nachrichten ausser den hier berührten enthält, so würde ich Ihnen für Uebermittlung einer Abschrift sehr dankbar sein. Ich sammle sozusagen auf diese Weise meine Freunde und Bekannten aus der früheren Zeit. Viele haben mir schon geschrieben, sei es aus England, sei es aus USA, aus Mexiko, Schanghai, Nizza usw.
Mit freundlichem Dank für Ihre guten Wünsche und besten Empfehlungen und Grüsse an Sie und Ihre Frau Gemahlin

Ihr ergebener (Drucker)