Leipzig, am 9.8.46.

Lieber Matz,

ich schreibe mit der Maschine, damit Du nicht an meiner Schrift scheiterst. Also wir leben alle noch und sogar ganz gut, die Möpse sind reizend und – ohne es berufen zu wollen – auch brav. Grosse Ereignisse sind nicht zu berichten, nur war Frau Ueberück da mit einer Spende, die Dir Sonntag nachmittags in flüssiger Form gut schmecken wird (ich sehe was, was Du nicht siehst, es sieht braun aus.) Und Fräulein Goldfriedrich hat bisschen Gemüse gestiftet.
Eine traurige Botschaft kam, nämlich der älteste Sohn von Hahnemann ist gestorben, da musst Du wohl kondolieren, das hat aber Zeit, bis Du wieder da bist. Er war wohl schon lange krank. Jedenfalls ist es nicht der Jurist, den wir im Winter trafen. Im Ausschuss bin ich eine Beute der fragenden Menschheit. Neulich war auch einer in der Wohnung, Alfred Starke, den konnte ich gleich abfertigen, eigentlich wollte er zu Dir. Wir haben nun eine schriftliche Mitteilung für die Kästen der Zugelassenen und einen Fragebogen für die Nichtzugelassenen ausgearbeitet, die gehen dieser Tage raus. Aber ich will Dich nicht mit Geschäftlichem aus Deiner Urlaubsruhe stören.
Ina lässt Dir sagen, sie käme also am Freitag. Sie frischelt inzwischen auf dem Dachgarten, das Wetter ist zum Glück ja ganz schön. Gehst Du denn manchmal spazieren? Ich freue mich recht, dass Du bei Schormann bist, das ist doch die beste Lösung. Deine Geschenkwünsche machen mir Sorgen, werden aber mit Gottes Hilfe erledigt werden können. Schmitz habe ich auf Perner gehetzt, habe aber noch keine Ergebnismeldung erhalten. Ina oder das Auto bringen die Sachen jedenfalls mit.
Weil Du dort so ganz ohne Nachricht aus der Welt der Politik bist, schreibe ich Dir hier eine Statistik aus dem „Morgen“ von Sonnabend ab, die uns amüsierte. Sie spricht für sich und lässt Ausblicke auf die Landtagswahlen zu, wo ja auch in den dörflichen Gemeinden alle Parteien zur Wahl stehen werden. Die Unterteilung in Männer und Frauen bei den Kandidaten, die die Zeitung bringt, lasse ich auch Platzgründen weg.

Stadtkreis                Gemeinde-      SED      LDP      CDU
vertreter
zus.
—————————————————————–
Aue                             40          13      10      17
Bautzen                     40          17      13      10
Chemnitz                   70          27      14      18
Chrimmitschau         40          19      13       8
Döbeln                      40          19      11      10
Dresden                    80          39      28      13
Freiberg                    40          18      13       9
Freital                     40          25       8       7
Glauchau                    40          16      16       8
Görlitz                     50          26      16       8
Leipzig                     90          42      27      19
Meerane                     40          18      18       4
Meissen                     50          25      12      13
Mittweida                   30          15       8       7
Pirna                       40          19      13       8
Plauen                      50          22      22       6
Radebeul                    40          16      17       7
Reichenbach                 40          16      12      12
Riesa                       40          21      14       5
Werdau                      30          12       9       9
Wurzen                      30          15       8       7
Zittau                      40          14      18       7
Zwickau                     60          26      15      19
—————————————————————–
zus.  23                   1060          490      335      231

Das ist doch recht interessant, besonders in Anbetracht der Zusammensetzung der Bevölkerung in den einzelnen Städten.
Eben war Essenspause und als ich wiederkam, konnte ich den Brief gerade noch aus Michelmätzchens Fingern retten, er wollte ihn selber beenden und nun ist er mir böse, weil er das nicht darf.
Eine Neuigkeit hätte ich beinahe vergessen: Fräulein Grossert, die offenbar ernstlich krank ist, kommt heute ins Krankenhaus. Von dort kehrt sie gar nicht wieder zu uns zurück, sondern zieht gleich in ihr neues Zimmer, sodass Ina nun also ihr Gemach einrichten können wird.
Na, das wärs wohl. Ach ja, Jacobs wurde am Sonnabend verhaftet, das Mass der Beteiligung von Dr. B. ist noch nicht ganz klar, jedenfalls war er zur gegebenen Zeit an Ort und Stelle.
Grüsse bitte alle Schorleute von mir, ich lasse ihnen auch schön für Deine Unterbringung danken. Ursel oder ich werden am Sonnabend wohl im Auto sitzen, mit Michael, wenn ers verdient.

Sei schön lustig und erhole Dich gut!

(Renate)