dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Dresden 13.II.46

Mein lieber, guter Martin!

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief und es liegt mir am Herzen, ihn gleich zu beantworten, denn Du hast mir damit eine unbeschreibliche Wohltat erwiesen. Alle die Bilder, die Du in der Erinnerung wieder aufleben liessest, sind auch am heutigen Tage besonders lebhaft durch meine Seele gegangen, es ist ja kaum zu glauben, dass wirklich schon ein ganzes Jahr vergangen ist über allem Unglück, das unsere ganze Familie betroffen hat. Die fruchtbare Nachricht von des geliebten Heinrich Tode war das Letzte, was die gute Ursel uns zurief von Aue aus und damit begann die Katastrophe. Mein lieber Carl war mit mir darüber so tief traurig, so schmerzlich getroffen, er hing ja so sehr an ihm u. grämte sich mit Dir, der armen Ursel und mit uns Allen. Und so ist Schlag auf Schlag erfolgt und man wundert sich, dass man alles ertragen konnte, dass man weiter lebt u. dass man sogar ganz im Stillen hofft, es möchten doch noch einmal bessere Zeiten anbrechen. Was Du über Carls Schicksal und sein Ende sagst, mein lieber Martin, ist gerade das, was ich mir immer sage, und als ich heute – zum allerersten Male – an seinem Grabe stand, habe ich dem lieben Gott aus tiefster Seele gedankt, dass er ihn erlöst und ihm viel, viel erspart hat. Wie glücklich würde er sein, wenn er wüsste, wie liebevolle Worte Du mir gerade heute ausgesprochen hast, Du glaubst gar nicht, wie glücklich es mich macht, dass Du sagst, Du sehntest Dich nach etwas Familienleben mit mir. Ja, auch ich habe das innige Bedürfnis, Dich einmal in Ruhe um mich zu haben u. über soh manches mit Dir aussprechen zu können.
Deine Aufforderung, zu Euch zu kommen, hat mich mit herzlicher Freude erfüllt und ich nehme sie aufrichtig dankbar an. Dass Du mich sogar selbst holen willst, ist schon ein verheißungsvoller Anfang, wie freue ich mich auf unser Zusammensein, auf Euch alle u. auf die Bübchen, die ich nun endlich kennenlernen soll. Also ich richte mich auf den 25. Febr. ein, hoffentlich kommt nichts dazwischen. Wie es mit der Übersiedlung nach Borna wird, läßt sich noch nicht sagen, die Wohnungsfrage ist noch ungeklärt, ich müsste auch vorher noch einmal hierher, um mit zu packen, aber das ist eine Sorge, die wir getrost der Zukunft überlassen können. Zu regeln sind nur die leidigen wirtschaftlichen Fragen, denn unsere Dresdner Lebensmittelmarken gelten bei Euch nicht, aber dazu äussert sich vielleicht einmal eine von Deinen Damen. Am 1. März gibt es eine neue Karte, ich weiss aber nicht, ob ich für einen Teil Reisemarken bekäme, ich habe von alledem keine Ahnung. –
Nun aber Renate! Das ist doch fabelhaft, einen Lehrauftrag an der neu eröffneten Universität! Das war doch in der ganzen Familie noch nicht da; hätte das unsre Grete doch erleben dürfen. Und wie stolz wäre Carl auf seine Nichte, dieses Erlebnis hätte ich ihm gegönnt. Ich wünsche ihr von Herzen Glück.
Von Bitters bin ich für einige Woche leider abgesperrt, d. h. ich darf nicht zu ihnen gehen, weil nun doch noch der Junge einen heftigen Keuchhusten bekommen hat. Ich habe ihn nie selbst gehabt u. nach des Arztes Ansicht mach diese dumme Krankheit auch vor 70jährigen nicht Halt. Ab und zu besuchen sie mich ja hier, aber unsere gemütlichen Sonntage sind leider zerstört u. das ist sehr schade, aber nicht zu ändern. Sonst habe ich heute nichts zu berichten, alles andere heben wir uns fürs mündliche auf.
Ich danke Dir nochmal innig für Deine lieben, guten Worte, grüsse Dich und Euch Alle tausendmal, auch von der guten Gucki u. der lieben Erika und bin in herzliche Freude auf meinen Besuch bei Euch in alter Liebe
die Bettchentante.