dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Abs. Drucker,
Upsala, 19.01.46

Lieber Martin,

Herr L. Levi, welcher nach jahrlangem Aufenthalt hier nun nach Deutschland zurückzukehren beabsichtigt, will so freundlich sein, einen Brief an Dich mitzunehmen und, wenn die Censur keine Schwierigkeiten macht, Dir zuzustellen. Ich benutze diese seltene Gelegenheit umso lieber als ich seit Deiner Karte vom Februar vorigen Jahres, die mir die Nachricht von Heinrichs Tod brachte, so gut wie nichts von Euch erfahren habe. Später erhielt ich von Isa noch zwei Briefe von einem Elsässer und einem Deutschamericaner, die berichteten, was Ihr damals habt durchmachen müssen. In dem einen stand, Du seiest „wieder frei“. Haben denn die Hitlerverbrecher auch Dich verfolgt? Ferner erfuhr ich, Du könntest wieder beruflich arbeiten und habest eine andere Wohnung, nachdem Dein liebes altes Heim zerstört worden war. Später kam noch ein kurzer Brief von einem Norweger, der berichtete, er habe sich aus den Händen der Deutschen zu den Russen gerettet und sei jetzt wieder in seiner Heimat. Damals habe ihn Ina im Lazarett behandelt und ihn gebeten, nach seiner Heimkehr mir einen Gruss zu senden. Ina sei später nach Thorn geschickt worden um dort wieder tätig zu sein. Vielleicht hast Du von ihr directe Nachricht erhalten?
Alles was ich wusste, habe ich Conrad mitgeteilt, von dem ich vor einigen Monaten unerwarteter Weise Nachricht erhielt und mit dem ich seitdem wieder in brieflicher Verbindung stehe. Er befindet sich mit Frau und Tochter wohl, scheint aber noch keine sichere neue Tätigkeit gefunden zu haben. – Conrad hatte auch von Richard (Burian) Nachricht erhalten, der, wie Du wohl weisst, auch alles verloren hat und bei einem früheren Schüler wohnt. Ich habe Richard einen langen Brief geschickt, aber noch keine Antwort erhalten. Isa schrieb, sie hoffte ihren Vater zu sich oder zu Hermann holen zu können, dem es sehr gut geht.
Bei uns ist alles wie früher, nur ist Gertrud sehr angegriffen, teils durch Sorge um Euch und ihre Nicht Ille (?) Cohn, die aller Wahrscheinlichkeit nach im November 1944 von den Nazis ermordet worden ist, teils durch ein Augenleiden, anscheinend eine Trübung der rechten Hornhaut. – Wir würden Euch gern ein Lebensmittelpaket schicken, es ist aber nicht erlaubt. –
Die oben erwähnten Briefe enthielten auch Mitteilungen über schwere Unglücksfälle in Bettys Familie, aber sie waren nicht klar und wir wissen nicht ob Betty und Carl oder Ernst und seine Frau von den Bomben getroffen worden sind. – Hanna Dobbriner und Fritz Cohn sollen wieder in Leipzig sein. In diesem Falle bitte ich Dich sie zu grüssen.
Wir denken stets mit Sorge und Widersehenshoffnung an Dich und Deine Kinder und Enkel. Könnten wir nur einmal eine Nachricht bekommen. Mit herzlichen Grüssen von uns beiden

Dein Carl