dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Dr. Gerhard Herrmann
M ü n c h e n – 13,
Elisabethstr. 7 III lks.

M., den 21. Juli 1946.

Lieber und verehrter Fempe,

Ihre Zeilen vom 11. Juni, die mich erst nach mehr als einem Monat Laufzeit erreichten, haben mich tief bewegt. Die Bürde Ihres Schicksals wiegt noch schwerer als ich befürchtete.
Die Haltung aber, in der Sie es meistern erfüllt mich mit tiefer Ehrfurcht und ich bedaure es schmerzlich, Ihnen nicht persönlich sagen zu können, wie mir zumute ist. Ihr Brief aber wird mir stets eine Mahnung sein, den Sorgen und Schicksalsschlägen des Lebens gegenüber eine Haltung einzunehmen, der man sich später nicht zu schämen braucht.
Es hat mich wirklich gerührt, daß Sie meine Zeilen so ausführlich beantwortet haben, obwohl Sie noch in den Anfängen der Rekonvaleszenz stehen. Von ganzem Herzen wünsche ich Ihnen weitere gute Genesung. Hoffentlich können Sie in Zukunft eine so überstarke berufliche Belastung, der mancher Jüngere nicht gewachsen wäre auf die Dauer, vermeiden und an die Schonung Ihrer Kräfte denken. Glücklicherweise sind Sie ja in bester Obhut und ich hoffe, daß Sie die Ernährungsschwierigkeiten unser Zeit nicht in voller Härte spüren.
Das Leumundszeugnis das Sie mir ausstellten hat mich wahrhaft beschämt und ich werde es als ultima ratio in Reserve halten. Denn gerade Sie werden verstehen, daß es mehr als mißlich ist, derart in eigener Sache Propaganda zu treiben. Ich habe Grund in der Vermutung, daß meine „Bereinigung“ nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen wird, und ich also dann meine volle berufliche Freiheit wiedergewinne. Wie sich diese Zukunft im einzelnen gestalten wird, lässt sich natürlich heute noch nicht absehen. Ich habe es mir zum Grundsatz gemacht, über die nächsten 48 Stunden nicht hinauszudenken. Aber auf lange Sicht bin ich Optimist. Und da ich mit einigen in kulturpolitischen Dingen hier recht maßgeblichen Personen gut bekannt bin, hoffe ich in irgendeiner Form wieder auf die Beine zu kommen. Was Sie über Goldmann und Lpzg. bzw. das Verlagswesen schrieben war mir sehr wertvoll und hat mich in der Ansicht bestärkt, daß zunächst einmal eine Rückkehr nach Leipzig nicht durchführbar und ratsam erscheint.
Wie gnädig das Schicksal in den letzten 5/4 Jahren mit mir trotz allem verfahren ist ist mir eigentlich erst hinterher so recht klar geworden, vor allem nachdem ich nach und nach von den Geschicken der Freunde und Bekannten erfahren habe.
Eine ernste Sorge ist erst kürzlich von mir genommen worden. Meine Mutter, die ja seit 38 im Ostsudetenland gelebt hatte, ist vor einigen Wochen als Flüchtling nach Bayern gelangt. Als Wohnsitz wurde ihr Selb zugewiesen. Zwar reichlich weit entfernt von hier, aber man muß froh sein, daß wir nun wenigstens in der gleichen Zone leben. Soeben konnte sie mich 14 Tage lang hier besuchen, und ich war sehr überrascht, wie gut sie die Aufregungen und Entbehrungen des letzten Jahres überstanden hat.
In Ihrem Briefe machen Sie eine Andeutung über die näheren Umstände von Heinrichs Tode. Ich nahm bisher an, er wäre im Kampfe gegen die Russen gefallen. Falls es Ihnen nicht zu schmerzlich ist, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich mehr wissen liessen.
Bei einem Streifzug in den hiesigen Antiquariaten fiel mir zufällig ein MS-Druck über die Gedächtnisreden anlässlich des Todes von RGPräsident v. Seckendorf in die Hände. Ich darf Ihnen diese kleine Schrift mit getrennter Post zusenden. Vielleicht macht Sie Ihnen ein Stück deutscher Rechtsgeschichte lebendig, in das Sie selbst verflochten sind.
Für heute seien Sie nochmals herzlich bedankt für alles, was Sie für mich taten. Werden Sie recht bald ganz gesund. Ihnen und den Töchtern recht herzliche Grüsse. Ich hoffe, daß es auch den Enkeln so gut geht, wie es bei den gegenwärtigen Zeiten nur möglich ist.

Immer Ihr dankbarer getreuer

Gerhard Herrmann