dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

13.04.1946

An die Landesverwaltung Sachsen – Justiz
z. Hd. des Herrn Senats-Präsidenten Dr. Zimmermann
Dresden N 15
Fabricestraße 4

Sehr geehrter Herr Präsident!

Die Absicht, die Wiederzulassung von Rechtsanwälten mit der Auflage der Uebersiedlung an ein Amtsgericht und namentlich an ein solches, bei dem Anwaltsmnagel herrscht, zu verknüpften, begegnet meines Erachtens ausser rechtlichen Bedenken auch der tatsächlichen Schwierigkeit, dass die Anzahl der erfolgten und noch zu erwartenden Wiederzulassungen den Bedarf an Rechtsanwälten an jenen Amtsgerichten um ein Vielfaches übersteigt.
Nicht minder gewichtig erscheint mir das Bedenken, dass diese aufs Land verwiesenen Anwälte, wenn sie verheiratet sind und Kinder haben, schwerlich für ihre Familien Wohnungen und für die Kinder geeignete Wohnungen finden werden. Deshalb wäre es, wenn nun einmal mit dem Grundsatze der völlig freien Wahl des Niederlassungsortes gebrochen werden soll, empfehlenswert, an die wiederzuzulassenden Anwälte nur die Anfrage zu richten, ob sie bereit seien, ihre Niederlassung bei einem Gerichte zu wählen, wo Anwaltsmangel herrscht. Eine Uebersicht über die in Frage kommenden Orte könnte beigefügt werden. Ich erwarte mit aller Bestimmtheit, dass auf diesem Wege sehr bald die von Anwälten entblössten Gerichte ausreichend besetzt werden würden. Ich weiss aus eigenen Aeusserungen mehrerer ihr Wiederzulassung erwartender Anwälte, dass sie sehr gern bereit sind, an die umliegenden Amtsgerichte oder sogar nach Orten ohne Gericht überzusiedeln.
Wenn ich mich im Vorstehenden zum Sprecher der in der Leipziger Kollegenschaft vorherrschenden Auffassung mache, so will ich nicht verschweigen, dass ich an einer nicht ausnahmslosen Durchführung der Landverschickung Wiederzugelassener auch ein persönliches Interesse habe.
Zu den Bewerbern, deren Wiederzulassung seitens der Landesverwaltung nach den gutachterlichen Aeusserungen des Kammervorstandes und des Leipziger Ausschusses wohl unzweifelhaft anzusehen ist, gehört Dr. Herbert Franz. Der Genannte wird seit einigen Monaten von meiner Anwaltssozietät in der bis zu seiner Wiederzulasssung gestatteten Weise als juristischer Hilfsarbeiter beschäftigt und wir planen, ihn als Rechtsanwalt gegen feste Vergütung bei uns zu behalten, weil wir seine Tätigkeit und Zuverlässigkeit schätzen. Dr. Franz war während des Vorbereitungsdienstes meinem Sozius Dr. Eckstein als Referendar zugewiesen. Als er sich zum zweiten Examen meldete, wurde die in dieser Tätigkeit verbrachte Zeit ihm nicht angerechnet, weil Dr. Eckstein mit mir assoziiert geblieben sei. Mit der gleichen Begründung wurde seine Annahme als Anwaltsassessor entgegengetreten. Dr. Franz ist also dadurch benachteiligt worden, dass er den Mut gehabt hat, auf meinem Bureau neben mir zu arbeiten. Er ist während dieser Zeit deshalb auch vom Landgerichtspräsidenten gemassregelt worden. Daher blieb ihm nichts übrig als den Eintritt in die NSDAP.
Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sowohl seine Mutter wie die Familie seiner Frau leben hier.
Mein Sozius Dr. Eckstein und ich würden es lebhaft bedauern, wenn Dr. Franz aus unserem Bureau ausscheiden müsste. Zur Bewältigung der bei uns anfallenden Arbeit bedürfen wir dringend mindestens eines Volljuristen, der namentlich auch bei den Gerichten und anderen Behörden auftreten und selbstständig mit der Klientel verhandeln darf. Als Mitarbeiter kommen unter den gegebenen Verhältnissen für uns aber doch nur Rechtsanwälte in betracht, die ihre Wiederzulassung erlangen.
Für die echte und von jeher betätigte antinazistische und antimilitaristische des Dr. Franz verbürge ich mich auf Grund meiner langjährigen Erfahrungen mit ihm. Ich darf aber auch auf die Ausführungen in seinem Wiederzulassungsgesuch und dessen Anlagen verweisen.
Nach alledem erlaube ich mir die Bitte auszusprechen, seine Wiederzulassung nicht an die Bedingung des Weggangs von Leipzig zu knüpfen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

(Drucker)