dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Justizrat Dr. M. Drucker
Dr. Kurt Eckstein
Rechtsanwälte u. Notare
Karl Marx-Platz 7 (Europahaus)

Leipzig C1, den 11. Juni 1946.

Z e u g n i s .

Herr Dr. Gerhard  H e r r m a n n, jetzt wohnhaft in München, ist mir seit dem Jahre 1928 bekannt. Er war damals Leiter einer Abteilung im hiesigen Konsulat der USA. Unsere Beziehungen beschränkten sich aber nicht auf das Berufliche. Wir traten sehr bald in einen intensiven persönlichen und familiären Verkehr, der sich immer freundschaftlicher gestaltete. Herr Dr. Herrmann brachte häufig das Wochenende in einem landschaftlichen Besitztum zu, das ich damals gepachtet hatte. In diesem engen Verkehr glaube ich eine tiefen Einblick in Charakter und Denkweise des Herrn Dr. Herrmann gewonnen zu haben. Ich habe in ihm einen Mann nicht nur von weit gespannter Bildung, sondern auch von ausserordentlicher Vornehmheit der Gesinnung kennen und schätzen gelernt. Selbstverständlich haben unsere Unterhaltungen sich auch intensiv mit den politischen Geschehnissen befasst. Herr Dr. Herrmann lehnte die gesamte Ideologie des Nazismus ausnahmslos ab. Er konnte zu gar keiner anderen Einstellung gelangen, weil seine wissenschaftlichen Studien ihn zum Kosmopolitismus geführt hatten und er schon deshalb das ueberhebliche Herausheben einer einzelnen Nation als kulturentwicklungswidrig erkannte.
Nachdem Herr Dr. Herrmann auf Grund verschiedener wissenschaftlicher Publikationen in den Verlagsbuchhandel übergetreten war, ist er in die NSDAP eingetreten. Er hat mir gegenüber daraus keinen Hehl gemacht, aber diesen Schritt erklärt aus den Anforderungen, die seitens des Propagandaministeriums an die massgebenden Verlage gestellt wurden, wenn ihnen nicht die Publikationsmöglichkeit abgeschnitten werden sollte. Dr. Herrmann hat trotz des erzwungenen Eintritts in die Partei den wesentlich von ihm geleiteten Verlag nicht in das Nazisystem abgleiten lassen, sondern dafür gesorgt, dass die Publikationen des Verlags auf unbefangenem wissenschaftlichen Standpunkt verblieben. Infolgedessen hat der Eintritt des Herrn Dr. Herrmann in die NSDAP an unseren freundschaftlichen Beziehungen und insbesondere an der Achtung nichts geändert, die ich Herrn Dr. Herrmann entgegenbringe. Ich habe keinen Zweifel, dass, nachdem die erzwungene äusserliche Bindung an die NSDAP gegenstandslos geworden ist, er sich wissenschaftlich und persönlich als ein wahrer und überzeugter Demokrat und antifaschistisch betätigen wird.
Ich selbst habe niemals der NSDAP oder irgendeiner ihrer Gliederungen angehört, habe vielmehr, soweit und solange es in meinen Kräften stand, ihre Ziele und Praktiken bekämpft und habe als Rasseverfolgter zwölf Jahre lang schwerste Verfolgungen und Nachteile auf mich nehmen müssen. Meine Einstellung ist so bekannt, dass ich unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Hitlerregimes zum Präsidenten des Ausschusses der Leipziger Rechtsanwälte und Notare gewählt und alsbald danach seitens der Landesverwaltung Sachsen in den Vorstand der Anwalts- und Notarkammer berufen worden bin, als dessen Vizepräsident ich fungiere.

Alles Vorstehende versichere ich Eides Statt.
Leipzig, den 11. Juni 1946.

Drucker, Vizepräsident der sächsischen Anwalts- und Notarkammer, Sitz Dresden