dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Sender: RA Dr. H. Barban
343/67 Ward Road (Chang Yang Lu)
Shanghai, China
23.08.46

Adresse: Justizrat Dr. Martin Drucker
Ritterstraße 1, Schwägrichenstraße 5
Germany Leipzig, Russische Zone
Evtl. nachsenden

Sehr geehrter Herr Justizrat!
Ich schrieb Ihnen am 7. April, vor- und nachher an verschiedene Leipziger Adressen, alte Freunde u. Bekannte. Aber sonderbar: während andere Leute hier, sogar öfter, Nachrichten aus der Heimat erhalten, bin ich ohne jede Antwort. Sollten meine Briefe über den Rahmen „familiären und privaten“ Inhalts hinausgegangen sein? Dann darf ich meinen früheren Brief, mit entsprechenden Auslassungen, wiederholen. Er lautete also mutadis nutandis: Nachricht über Fortbestand Ihres Leipziger Domizils ermutigt mich, Ihnen, nach so vielen Jahren furchtbarsten Erlebens, ein sogenanntes Lebenszeichen zu geben. Vor allem darf ich Sie selbst zu Ihrer neuen (?) Position beglückwünschen, deren Art mir zwar nicht genau erkennbar, die aber wohl Ihren Neigungen u. berechtigten Ansprüchen gemäss zu sein scheint. –
Vor mir zu sprechen, so war u. ist mir Shanghai, nach Ausbootung 1933, Konz.Lager Novbr. 1938 und allem drum und dran, seit Juni 1940 zwar Asyl geworden, aber mehr noch Exil geblieben, erleichtert allerdings durch Zusammensein mit Frau u. Sohn, der hier verheiratet. Ueber alles, was fehlt, an Natur und Kultur, dazu Sprachfremdheit im Kulibezirk dieser ungeheuren u. unheimlichen Hafenstadt, musste geistige Arbeit mehr hinwegtäuschen als hinweghelfen: etwas Anwaltspraxis, die hier merkwürdigerweise in gewissen Grenzen möglich ist, Studium zur Weiterbildung in Juristerei und Englisch, gelegentlich ein Zeitungsartikel oder ein Vortrag, dieser in der Vereinigung „zentraleuropäischer Rechtsanwälte“, in deren Vorstand ich, als alter Vereinsmeier u. Mitbegründer (1941) , über die Kassenführung allmählich zum „Chairman“ avanziert, was alles anregenden Verkehr mit zusagenden Kollegen (alles Refugees) zur Folge hat. Aber im übrigen ist für einen Europäer hier kein Boden. Ich möchte endlich wieder in meine Heimatstadt zurückkehren u. dort als RA. und Notar, oder besser noch als angestellter Beamter, ein neues Leben beginnen, das innerlich lebenswert ist. Besteht dazu eine Möglichkeit? Könnte man zur Berufsausübung von irgendeiner Seite angefordert werden? Gibt es eine Stelle, der man diese Fragen unterbreiten könnte, auch wegen evtl. Anstellungsbedingungen, Wahl der Zone (Sprache?), Reise- u. Wohnmöglichkeiten usw.? Ihre Meinungsäusserung aus völliger Kenntnis der dortigen Verhältnisse wäre mir von allergrösstem Wert! – Leider soll unsere „Lindenstadt“ unter den Kriegshandlungen so schwer gelitten haben! Umso mehr möchte man von alten Freunden u. Bekannten hören, mit „Furcht u. Hoffnung“, den ewigen Elementen des Bühnen- wie des Welten-Drama’s. Hoffentlich sind Sie selber u. Ihre Angehörigen, so auch Ihre Söhne, durch die schlimmen Jahre wohlbehalten hindurch gekommen? So auch Ekcstein u. a. Kollegen? Lange hörte ich nichts von LGDir. Dr. Lange u. Wilhelm Friedmann, der hoffentlich (im Gegensatz zum dem verstorb. Koll. Jacobson)  unter den Überlebenden des Katastrophenjahre weilt. Und wie ist dort überhaupt Leben u. Stimmung? usw.! – Darf ich auf ein paar Zeilen von Ihnen hoffen? Joint und UNRRA lassen uns nicht verhungern. Aber bei leidlich vollen Schüsseln hungert man nach Berichten aus der alten Heimat. Im Voraus für Alles herzlich dankbar, begrüße ich Sie in bekannter Hochachtung u. Wertschätzung Ihr aufrichtig ergebener Dr. H. Barban.
NS: Von sächsischen Kollegen ist hier nur noch Dr. Kurt Hammer, übrigens nicht in der Vereinigung, aber in guter persönlicher Beziehung zu mir.
Kann man Wiedergutmachungs-Ansprüche geltend machen? evtl. wo?