dr. jur. Hubert Lang

Anwaltsgeschichte

Bleiben Sie stehen, Frau Reichsanwalt!

Siegfried Landau (1895-1962), Kuriosa aus den Akten der Sächsischen Anwaltskammer

Die Überlieferung der Akten ist so vielfältig wie das Leben. So liegt das Tragische oft nahe beim Komischen. Eine Episode letzter Art ist in einer Akte der Sächsischen Rechtsanwaltskammer überlie­fert.

Siegfried Landau sah sich genötigt, sich wegen eines Ereignisses, welches vollkommen außerhalb seiner Berufsausübung lag, zu recht­fertigen.

Landau hatte damals seine Kanzlei gemeinsam mit Adolf Liepmann (1893-1976) in der Hainstraße 6. Das Büro lag im dritten Stockwerk dieses Hauses, was für die Geschehnisse von gewisser Bedeutung ist. Das war näm­lich der Grund, warum er sein Fahrrad im nahe gelegenen Geschäft seines Vaters in der Reichsstraße 14 unterstellte. Dort im Erdge­schoß betrieb Alexander Landau (1863-1932)  gemeinsam mit seinem Schwager Jacob Rubin (1865-1927) die Firma Rubin & Landau, eine Ei­ergroßhandlung.

Am 21. August 1922 hatte sich Siegfried Landau mit einem Freund verabredet, um eine Fahrradtour zu unternehmen. Die beiden hatten sich deshalb für halb sieben Uhr in der Reichstraße verabredet. Während die beiden Freunde im Privatkontor der Firma Rubin & Lan­dau redeten, trat die Hauptperson des nun folgenden Dramas ein. Eine zunächst noch namenlose Dame begehrte Eier zu kaufen und wurde von Landau darauf hingewiesen, dass die Firma eine engros Handlung sei und deshalb Eier nur an Wiederverkäufer abgebe. Mit dieser Erklärung gab sich die Kaufinteressentin jedoch nicht zu­frieden. Sie wolle 200 bis 300 Eier kaufen und das wäre schließ­lich ein Großeinkauf.

Die Versuche des Rechtsanwaltes die Dame von der Unrichtigkeit ih­rer Auffassung zu überzeugen, fruchteten nichts. Diese ging nun vielmehr zu groben Beleidigungen über, die sie später selbst zu­gab.

Die renitente Kaufinteressentin befand sich zu diesem Zeitpunkt der Auseinandersetzung insoweit in einem Vorteil, als sie wusste, dass sie einen Rechtsanwalt zum Gegner des verbalen Schlagabtau­sches hatte. Deshalb brachte sie nämlich höhnisch ihre Verwunde­rung zum Ausdruck, dass ein Anwalt Eier verkaufe. Gerade das hatte aber Landau nicht getan.

Schließlich verließ die Dame wutschnaubend das Geschäft und rief lauthals im Hinausgehen „Was für ein unverschämter Kerl!“

Das wollte nun der um seine Ehre fürchtende Anwalt keinesfalls auf sich sitzen lassen. Es bat deshalb die Beleidigerin ihren Namen zu nennen. Das wurde verweigert und natürlich folgte die empörte Dame auch nicht der Aufforderung zum Zwecke der Namensfeststellung mit auf das nächste Polizeirevier zu kommen.

Die Folge dessen war eine Verfolgung der Flüchtenden von der Reichsstraße bis zu Steckners Hof in der Petersstraße. Dort nahm der diensthabende Schutzmann die Personalien der Dame auf, was nicht ohne eine Ansammlung von Neugierigen vor sich ging. Nun wusste Landau, wen er vor sich hatte: Olga Freifrau von Eberz und Rockstein, verwitwete Reichsanwalt.

Sie hatte sich durch ihren Auftritt nicht nur eine Privatklage we­gen Beleidigung sondern auch den Spott der Menge eingehandelt. Das genügte ihr offenbar allerdings nicht, denn sie wandte sich be­schwerdeführend an die Rechtsanwaltskammer. In ihrem Protestbrief gab sie die ausgesprochenen Beleidigungen unumwunden zu, was zeigt, da sie sich zu solchen verbalen Attacken berechtigt glaubte.

Die Rechtsanwaltskammer hat auf die Beschwerde nichts verfügt. Es blieb am Ende nur die Frage offen: Was wollte die Witwe des Reichsanwaltes Max Freiherr von Eberz und Rockhausen (1852-1921) mit 200 bis 300 Eiern?

Der Freund, mit dem Landau dann doch noch auf die geplante Fahr­radtour aufbrach war übrigens kein geringerer als der spätere Po­lizeipräsident Dr. Gerhard Heiland. Diesen Posten verlor er aller­dings 1933 sofort. Erst nach Kriegsende konnte er seine juristi­sche Karriere fortsetzen, die er als Richter am Bundesverfassungs­gericht beendete.