dr. jur. Hubert Lang

Martin Drucker - Das Ideal eines Rechtsanwalts

Berlin W 56, den 13. April 1928

Herrn Justizrat Dr. Drucker
Streng vertraulich!

Sehr geehrter Herr Kollege!

Gestatten Sie mir, abseits unserer Korrespondenz, die den Berliner Anwaltverein betrifft, mich persönlich an Sie in folgender Angelegenheit zu wenden:
Bei der Neuorganisation des Deutschen Anwaltvereins spielt  selbstverständlich die Führerfrage eine ent­scheidende Rolle; also abgesehen von der Person des neu zu ernennenden Aussenministers die Frage, wer Präsident des neu organisierten künftigen Anwaltvereins sein würde. Selbstverständlich haben wir in Berlin uns auch schon mit dieser Frage eingehend beschäftigt und zwar im engeren Kreise, dem ausser mir 3 andere Mitglieder des Vorstandes angehören. Wir sind zu einem Resultat ge­langt, das ich Ihnen im folgenden mitteile und wollen, bevor wir Ihre Willensmeinung kennen, von Beratung im weiteren Kreise absehen. Bleibt der Deutsche Anwaltver­ein in Leipzig, so ist die Frage ohne weiteres unserer Ansicht nach gelöst, denn wenn wir auch, wie ich Ihnen offen gestehe, mit der Art, in der Sie sich dem grössten Ortsverein, dem Berliner Anwaltverein, gegenüber verhal­ten, uns nicht immer einverstanden erklären können, so hindert uns das nicht, anzuerkennen, dass Sie der allein in Betracht kommende Vorsitzende des reorganisierten in Leipzig sitzenden Anwaltvereins sind. Nun aber haben wir die durch gewisse Tatsachen begründete Vermutung, dass in der Vertreterversammlung der Antrag gestellt werden wird, den Sitz nach Berlin zu verlegen. Meine Ansicht hierüber kennen Sie. Ich bin absolut davon überzeugt, dass ein gedeihliches Wirken des Deutschen Anwaltver­eins, insbesondere in der jetzt in Aussicht genommenen Art des weiteren Heraustretens in die Öffentlichkeit und der Beeinflussung der öffentlichen Meinung, insbesondere der Mitglieder der Parlamente und der Regierungen, nur möglich ist, wenn der Verein seinen Sitz in der Reichs­hauptstadt hat. Ich verkenne zwar nicht, dass gefühls­mässige Bedenken vorhanden sind, dieselben sollten aber überwunden werden, wenn es sich um das Interesse des ge­samten Anwaltsstandes handelt. Andererseits hat die Be­handlung der Frage im Vorstand des Deutschen Anwaltver­eins und in der Reichskonferenz mich dazu geführt, mei­nerseits keinerlei Aufträge auf Verlegung des Sitzes nach Berlin zu stellen und ich glaube annehmen zu können, dass auch seitens unserer Vertreter ein derarti­ger Antrag nicht gestellt werden wird. Wird er von ande­rer Seite gestellt, so nehme ich an, dass unsere Vertreter dem Antrage zustimmen würden. Ob eine Verlegung des Sitzes nach Berlin erfolgt oder nicht, kann niemand wissen; wir müssen aber mit der Möglichkeit rechnen und da wir ja die Anwaltschaft in Berlin orientieren müssen, müssen wir uns schlüssig machen, wie wir in solchem Falle handeln würden. Ich bin überzeugt, dass die erste Frage, die hierbei an uns gestellt würde, die ist, wen wir zum Vorsitzenden präsentieren. Der engere Kreis, von dem ich oben sprach, geht nun davon aus, dass wir nicht die Absicht haben, einen Berliner Kollegen zum I. Vor­sitzenden und zum I. Stellvertreter vorzuschlagen. Wir würden in diesem Falle empfehlen, dass Sie den Vorsitz weiter übernehmen, einesteils aus der bereits oben dar­gelegten Erkenntnis, dass Ihre Eigenschaften als Vorsit­zender derart sind, dass keine Veranlassung besteht, von Ihrer Wahl zum Vorsitzenden Abstand zu nehmen, anderer­seits, weil wir Gewicht darauf legen, dass in der Geschäftsführung des Vorstandes eine Kontinuität statt­findet und gerade dann, wenn der Ort des Vereins verlegt wird. Zum stellvertretenden Vorsitzenden würden wir Herrn Rechtsanwalt Fischer in Hamburg vorschlagen und zum 2. stellvertretenden Vorsitzenden Herrn Rechtsanwalt Dr. Willy Alterthum in Berlin, Boxhagener Str. 55. Wir sind überzeugt, dass ein derart zusammengesetzter Vor­stand geeignet ist, die Interessen der Anwaltschaft voll zu vertreten und die Anwaltschaft auf der Bahn weiter zu führen ist, die wir jetzt zu gehen uns entschlossen ha­ben. Wir glauben auch nicht, dass dadurch, dass Sie und Herr Kollege Fischer nicht am Orte des Vereins wohnen, besondere Unzuträglichkeiten sich ergeben. Wir gehen da­von aus, dass der Vorsitzende die allgemeine Leitung hat, dass er die Richtung geben soll, dass er Anreger und Ausführer für den Vorstand sein soll. Gerade wenn nach der neuen Satzung die Einführung neuer Vertreter beschlossen wird, insbesondere des sogenannten Aussen­vertreters, fällt dem bisherigen Vertreter und dem Au­ssenvertreter die Hauptarbeit, also die tägliche Arbeit des Vorstandes zu und es genügt vollkommen, wenn alle Monate oder in ruhigen Zeiten alle zwei Monate eine Sit­zung des Gesamtvorstandes stattfindet, zu der bei gerin­gen Entfernung von Leipzig nach Berlin zu kommen ja nicht besondere Schwierigkeiten machen würde. Ich habe Ihnen diese unsere Gedanken mitgeteilt. Ich darf Sie bitten, die Sache zu überlegen und mir, und zwar ledig­lich persönlich, mitzuteilen, ob falls eine Sitzverle­gung stattfindet, Sie bereit sein würden, eine auf Sie fallende Wahl als Vorsitzender anzunehmen. Ich kann selbstverständlich nicht sagen, ob, falls eine bejahende Antwort Ihrerseits erfolgt, die Vertreter, die ja schliesslich über die Wahl des Vorstandes und indirekt damit des Vorsitzenden zu entscheiden haben, sich dieser Ansicht anschliessen. Ich bin aber überzeugt, dass, wenn wir ihnen Gründe darlegen, wir unsere Vertreter zu der Überzeugung bringen. Ich habe mich bisher auch nicht an Herrn Kollegen Fischer gewandt, da ich zunächst Ihre Antwort abwarten möchte. Bemerken darf ich, dass ich am Donnerstag, den 19. ds. Mts., auf ca. 4 Wochen verreise. Die Verhandlungen hier werden auch während meiner Abwe­senheit fortgeführt. Ich würde es begrüssen, wenn ich von Ihnen vor Donnerstag schon eine Antwort hätte, ev. bitte ich Sie, falls dies nicht möglich ist, Ihre Antwort an Herrn Rechtsanwalt Dr. Willy Alterthum in Berlin, Boxhagener Str. 55 richten zu wollen.

Der Original­brief befindet sich im privaten Nachlaß Martin Druckers.