dr. jur. Hubert Lang

Anwaltsgeschichte

Tief ist der Brunnen der Vergangenheit

Gedanken zum schwierigen Verhältnis der Anwälte zu ihrer Geschichte

Jeder literaturbeflissene Jurist kennt wohl diesen berühmten Anfangssatz aus Thomas Manns Roman-Tetralogie „Joseph und seine Brüder“. In der Weltliteratur hat kaum ein Satz die Unergründlichkeit unseres Seins so treffend auf den Punkt gebracht.

Im Vergleich dazu muss die Geschichte der deutschen Anwaltschaft wie eine lächerliche Pfütze erscheinen und trotzdem ist die Geschichte unseres Berufsstandes bis heute nur sehr oberflächlich und bruchstückhaft in unserem Bewusstsein. Gibt es dafür eine Erklärung?
Der Anwalt ist berufen, die Probleme des Lebens zu meistern. Das wird in aller Regel so verstanden, dass der Blick in die Zukunft gerichtet sein muss. Rückwärtsgewandtes Denken ist nach diesem Verständnis natürlich immer kontraproduktiv. Erinnern löst im privaten allzu leicht Verunsicherung aus. Nichts anderes gilt für die Befassung mit der Anwaltsgeschichte.

Neben der Fachkompetenz hat der Anwalt jedoch allzeit vor allem Souveränität auszustrahlen. Die unüberschaubare Verrechtlichung aller Lebensbereiche führt zur faktischen Unkalkulierbarkeit des Rechts. Trotzdem dürfen wir gegenüber Mandanten und Gerichten keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass wir alles im Griff haben. In dieser Situation können wir keine zusätzliche Verunsicherung durch ein hinabschauen in den unergründlichen Brunnen unserer Berufsgeschichte gebrauchen. Ein so destruktives Wort wie „unergründlich“ gehört sowieso nicht zum Wortschatz des erfolgreichen Anwalts.

Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Es lohnt sich durchaus auch die andere in Betracht zu ziehen. Hierzu müssen wir uns zuerst bewusst machen, dass die Befassung mit Geschichte kein Selbstzweck sein darf. Der Blick zurück hat nur dann einen Sinn und Wert, wenn er uns hilft, die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft der Anwaltschaft zu gestalten. Zukunft bedeutet aber nicht nur Veränderung, sondern auch Bewahrung. Im Austarieren dieses scheinbaren Widerspruchs liegt die wahre Meisterschaft. Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und aus vergangenen Erfolgen Kraft und Zuversicht zu schöpfen, das muss der Ertrag der Rückbesinnung sein. So sind z.B. Anwaltsschwemme, lebensfremde Juristenausbildung und mangelhafte Gesetzgebung durchaus keine neuartige Erscheinung.

Um die Geschichte unseres Berufstandes sinnstiftend zu ergründen bedarf es der Orientierung. Das Forum für Anwaltsgeschichte hat es sich zur Aufgabe gemacht, die hierfür notwendigen Potentiale zu sammeln, Forschung zu befördern und kompetenter Ansprechpartner zu sein.
Die lebensrettende Verbindung zu unserer Vergangenheit versinnbildlicht sich einzigartig in der griechischen Mythologie mit dem Faden der Aridane. Die Tochter des Königs Minos ermöglichte so Theseus die Rückkehr ins Leben. Diese Verbindung niemals abreißen zu lassen ist unsere ureigenste Aufgabe.

Nur so gewährleisten wir auch für die kommenden Generationen unserer Berufskollegen eine gesicherte Zukunft.