dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Upsala, den 12.10.46

Lieber Martin,

Dein Brief vom 21.9. kam gestern an, und ich beeile mich ihn zu beantworten. Inzwischen wird wohl mein Brief an Ursula eingetroffen sein, so dass Ihr die letzten Nachrichten von uns in Händen habt. Ich versprach darin, bald auch an Dich zu schreiben und hätte das bereits getan, um Dir zu rechter Zeit unsere herzlichsten Glückwünsche zu senden, die ich nun hier vorbringe. Doch hoffte ich zugleich ein neues Paket ankündigen zu können und musste darauf verzichten, weil die Sperre noch bestand. Da diese nunmehr aufgehoben ist, wird also in einigen Tagen eine weitere Ladung abgehen, von der ich freilich nicht weiss, ob sie noch vor Weihnachten eintreffen kann. Jedenfalls muss aber wieder jemand nach Berlin fahren um es bei Schenker abzuholen, denn sonst muss dort alles in kleine Paketchen umgepackt werden, was natürlich vermieden werden soll. Nach der Absendung bekommt Ihr weitere Mitteilung über den Inhalt damit Ihr alles controlieren könnt.
Einstweilen lege ich hier ein Erinnerungsblatt für Dich ein, was gewiss nicht beansprucht ein Ersatz für substanzielle Dinge zu sein, Dir aber doch vielleicht einen kleinen ideelen Wert repräsentiert, weniger wegen des darauf dargestellten Objectes, als wegen des Urhebers. Du wirst darin wohl noch das Bild erkennen, das Gertrud im Sommer 1933 oben in ihrem Atelier malte, während unten die SA-Stiefeln trampelten und Heil Hitler gebrüllt wurde. Ob Ina und Renate es kennen, weiss ich nicht mehr, aber Ursula und die Kleinen werden sich vielleicht dafür interessieren wie der ferne alte Onkel aussieht – besser: ausgesehen hat, denn ich bin jetzt nicht mehr so schön. Ich denke an ein Verschen von unserem Vater:
„Ich geb es Dir wie ich es geben kann;
Grau ist das Bild und leider grau der Mann.
Doch ist aus längstvergangner schöner Zeit
uns noch ein reicher Farbenschatz bereit.
Der diene Dir das Bild zu colorieren
und wenn Du magst den Mann zu renovieren.“
Das Original ist übrigens nicht grau; ich nannte es immer einen Ribera.
Was Fritz Cohn aus Gertruds Brief herausgelesen hat, weiss ich nicht. Vielleicht stand etwas von Isa darin, aber jedenfalls keine „Anfrage“. – Das Du Dich bei Schormanns gut erholt hast, freut uns sher zu hören. Ich weiss sehr wohl wer sie sind und erinnere mich, dass Peter wiederholt dort zu Besuch war. Kätchen Rosenthal (verh. Schormann) habe ich freilich seit ihrer Kinderzeit nicht wieder gesehen; ich habe sie noch als einen zweijährigen blonden Lockenkopf in Erinnerung. Was ist eigentlich mit Arlbergs inzwischen geschehen? Leben sie noch in Leipzig?
Dass Du vom Dachgarten nicht bis nach Connewitz siehst oder sehen kannst, trage ich mit Gleichmut. Meine Frage wollte nur feststellen, ob mir die Topographie von Leipzig noch richtig in Erinnerung ist.
Dass wir vor 50 Jahren Bettys Hochzeit feierten, weiss ich sehr wohl. Ich sehe die Hochzeitsgesellschaft noch vor mir, höre noch das Terzett: „Zieh holde Braut …“ und gedenke meiner Tischdame Frl. (Marie) Tscharmann. Ich schrieb aber nicht, weil ich nicht wusste, ob Betty in der Stimmung war, des Tages zu denken und habe auch ihre Adresse nicht. „Borna“ ist wohl nicht ausreichend. Jedenfalls bist Du wohl so gut, meine Bitte um Nachricht zu bestellen und ihr zu sagen, dass noch eine überlebender Teilnehmer ihren Hochzeitstag nicht vergessen hat. Mit herzlichen Grüssen an alle, natürlich auch von Gertrud, Dein Carl.