dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Dr. phil. Heinrich Roloff
Seestadt Rostock
Parkstraße 4 a

Hochverehrter Herr Dr. Drucker!

Ihren so aufschlussreichen Brief vom 8.7. erhielt ich am 15.7. und möchte nun endlich sehr herzlich für ihn danken. Ich hatte gedacht, meine äusseren Lebensumstände würden sich schneller verändern, allein, da es nun so scheint, als blieben sie noch eine lange Zeit die gleichen, so soll doch wenigstens zum Weihnachtsfeste ein Brief zu Ihnen finden, der Ihnen und Ihren Töchtern mein herzliches Gedenken und meine guten Weihnachtswünsche übermittelt.
Wie erfreulich für Sie, beide nun wieder in L. bei sich zu haben. Und beide nun als Doctrices! Ich glaube, auch Renate wird die Kopfbekleidung ganz ausserordentlich stehen. Zumal in ihren diversen Funktionen, die ja z. T. Ihrer eigenen Berufsarbeit so nahe stehen. Und im Mittellateinischen steht sie ja mir kollegial nahe. Was übrigens ein hochinteressantes Gebiet sein muss. Ich würde gern mal mit ihr fachsimpeln. Und wie erfreulich mag für Sie die lebendige Teilnahme am Gedeihen Ihrer Enkel sein. Hoffentlich machen sie Ihnen allen sehr viel Freude. An Krach waren Sie ja, soviel ich mich erinnern kann, schon damals gewöhnt, denn wir haben uns als „Banditen“, fürchte ich, akustisch nicht immer ganz zart aufgeführt. Ja, die gute Schwägrichenstr.! Diese Nachricht hat mich doch recht betrübt, es hängen soviel wesentliche Erinnerungen der schönsten Art für mein Leben daran. – Wie scharf Ihr eigenes Geschick an einem fürchterlichen Abgrund vorbeigegangen ist, hatte ich nicht geahnt. Wie müssen Sie jetzt die freiere Luft empfinden. Freilich, um welchen Preis! Und an Bedrückendem ist ja auch unsere Zeit jetzt nicht arm. Wollen wir uns wünschen, dass das nächste Jahr uns schon einen kleinen Schritt wieder vorangebracht hat! Freilich können wir als einzelne oder auch als Gesamtheit herzlich wenig dazu tun.
Wie schon erwähnt, hat sich an meiner äusseren Situation bisher noch nichts Entscheidendes verändert. Doch scheinen gewisse Anzeichen dafür zu sprechen, dass sie nicht mehr sehr lange die gleiche bleiben wird. Im Sommer nämlich bekam ich, gänzlich ohne mein Dazutun, eine sehr ehrenvolle Berufung an die „Öffentl. Wissenschaftliche Bibliothek zu Berlin“,die vormalige Preuss. Staatsbibl., die mich als Oberbibliothekar, d. i. früher Bibl.-Rat, haben will. Die dann im September in B. mündlich geführten Verhandlungen ergaben, dass die Bibl. gemeinsam mit der Deutschen (ehemals Preuss.) Akademie d. Wissenschaften eine Gesuch um meine Denazifizierung direkt bei der Sowjet.Milit.Admin. direkt in Karlshorst einreicht – was, wie ich denke, inzwischen geschehen ist. Dieser Ruf stellt natürlich eine enorme Verbesserung für mich, auch abgesehen von meiner augenblicklichen Lage, dar, die ich nicht von der Hand weisen konnte, auch wenn damit nun fürs erste die Trennung von meiner Familie (vor allem aus Gründen der Versorgung) und die Aufgabe des mir fast idyllisch erscheinenden, beruflich so ungebundenen Rostocker Daseins verbunden sein wird. Aber die Größe der Aufgaben lockt mich doch sehr. Einstweilen hoffe ich, dass es vor dem Einsetzen der wärmeren Jahreszeit mit der tatsächlichen Übersiedlung nichts wird. – Ich habe hier weiter gut und ausreichend zu tun mit meinem Nachhilfeunterricht, der eigentlich immer die Spanne des Tages, an dem die Schüler keinen Unterricht haben, und, augenblicklich, die strombegnadeten Stunden ausfüllt. Daneben arbeite ich mit grosser Freude seit längerem an zwei Vorlesungen, die ich an der hier neugegründeten und wahrscheinlich im Januar tatsächlich beginnenden Volksbibliothekarschule halten soll (über Buchgeschichte und Sachkatalogkunde). Ich verspreche mir von dieser Arbeit auch manchen Gewinn für spätere Zeiten. – Meiner Familie geht es gut. Mein Sohn absolviert gerade den Keuchhusten, eine recht mühsame und geräuschvolle Tätigkeit. Im Febuar soll er ein Geschwisterchen bekommen – nach vier Jahren wirds damit auch hohe Zeit. Meiner Frau geht es gut. Zu Essen hatten wir bislang immer noch ausreichend, zu heizen leidlich, und unsere Wohnung bewohnen wir auch noch, und zwar als einzige. – Im August waren wir einmal 10 Tage in Wernigerode bei meiner Mutter, der es gut ging und von der ich weiter gute Nachrichten habe. – Sonst, wie üblich, sehr viel Musik. Mein Quartett vor allem ist mir erhalten geblieben, dazu kommt öfter die Mitwirkung bei einem Symphoniekonzert u.a.
Von Eberhard Forche habe ich seit dem Mai nichts wieder gehört und mache mir etwas Sorge um ihn. Aber auch das mag an der Post liegen. – Wie geht es eigentlich Herbert Grundmann? Er wird in Kgsbg. auch alles verloren haben.
Mit sehr herzlichen Grüssen auch an Ihre beiden Töchter, Ihr sehr ergebener Heinrich Roloff