dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

29. Juli 1946

Lieber Conrad!

Heute komme ich dazu, auf Deinen Brief vom 21. Juni zu antworten. Ich möchte Dir eine Abmachung vorschlagen, wie ich sie mit Carl getroffen habe, dahingehend, dass wir uns monatlich einmal schreiben, das heißt also fürs erste, dass Du diesen Brief im August beantwortest und ich dann spätestens im September von mir hören lasse. Meine Krankheit, die Du erwähnst, ist nun überstanden, sie hat mir schwer zu schaffen gemacht und mich auch bisher noch nicht wieder zur vollen Ausnützung meiner Arbeitskraft kommen lassen. Ich besuche das Büro nur vormittags und arbeite nachmittags zu Hause, weil bei der erheblichen Entfernung meiner Wohnung zum Stadtinneren die Ruhezeit, die ich auf ärztlichen Befehl nach Tisch verbringen soll, andernfalls zu sehr verkürzt werden würde.
Mit besonderem Interesse haben wir die Nachrichten über Eure Schicksale verfolgt. Die Wohnverhältnisse scheinen allerdings nicht befriedigend gewesen zu sein. Dass Du aber doch wieder bei einer Firma beteiligt bist, ist sehr wichtig, und ich hoffe, dass Du bei Absendung Deines Briefes in Aussicht stehende Lizenz zum Wiederaufbau inzwischen erlangt hast. Sehr beschäftigt mich die von Dir erwähnte Anfrage, ob Du gewillt seist, die Leitung Deiner Bank wieder zu übernehmen. Sollte die treibende Kraft nicht etwa Dein Freund Hagemann gewesen sein, der sich doch vor einigen Monaten nach Deiner Adresse erkundigte? Ob ich Dir, wenn der Gedanke weiter verfolgt wird, unbedingt zur Rückkehr raten könnte, weiss ich selbst nicht so recht. Es ist mir nicht möglich, Dir im Rahmen eines Briefes meine Ansichten über die hiesigen Verhältnisse so mitzuteilen, dass Du Dir ein eigenes zuverlässiges Bild machen kannst. Ich muss auch zugeben, dass wir hier uns ein anschauliches Bild von der in der englischen Zone herrschenden Situation nicht zu verschaffen vermögen, wie andererseits ausweislich des Inhalts der im Westen erscheinenden Zeitungen man dort nicht in der Lage ist, die Verhätlnisse in der russischen Zone zu beurteilen. So viel aber steht fest, dass tiefgreifende Unterschiede vorhanden sind. Vielleicht ist in Euren Zeitungen mitgeteilt worden, dass im russischen Gebiet die sämtlichen Banken aufgehoben worden sind und ihr Geschäftsbetrieb in eine Landesbank oder Provinzbank, jedenfalls in ein Staatsunternehmen überführt worden ist. Das ist bisher in den anderen Zonen noch nicht geschehen, wird aber doch vielleicht, wenn auch mit Modifikationen, einmal eingeführt werden. Wenn dann auch Deine Bank einbezogen würde, so wäre es doch nicht sicher, ob Du dann in die eventuelle zu schaffende Landesbank übertreten könntest, weil die hervorgehobenen Posten doch nach politischen Gesichtspunkten besetzt werden. Du bist zwar politisch nicht belastet und, wie Dein Weggang von der Bank zeigt, geradezu ein Opfer des Faschismus geworden. Wie weit aber die Wirkung dieser Tatsachen reichen würde, getraue ich mir nicht zu beurteilen. Trotzdem halte ich es für geboten, dass Du Dich bei der Stelle, die seinerzeit angefragt hat, darüber erkundigst, ob man den Gedanken Deiner Rückberufung weiter verfolgt.
In mancher Beziehung ist sicher Deiner Heimkehr der Vorzug vor dem Verbleiben im Ausland zu geben. Du selbst hast ja den Wunsch, am wideraufbau der deutschen Kultur mitzuhelfen.
Was nun die Ansprüche angeht, die Du wegen Deiner damaligen unberechtigten Entlassung geltend machen könntest, so müssen wir abwarten, bis das, wie ich weiss in Hamburg geplante Gesetz über die Regelung der Wiedergutmachungsansprüche veröffentlicht ist. Dass es schoin niedergeschrieben ist, teilte mir vor einiger Zeit ein Hamburger Anwalt mit. Hier in Sachsen ist ein solches Gesetz noch nicht ergangen, und man weiss auch nicht, ob es kommen wird. Daraus ergibt sich eine grosse Unsicherheit hinsichtlich der Wiedergutmachungsansprüche. In dieser Hinsicht muss sich erst durch eine Anzahl von Prozessen eine gewisse Rechtspraxis bilden.
Was Deine Lebensversicherung angeht, so wird die mit der Alten Leipziger abgeschlossene wahrscheinlich wertlos sein. In Sachsen ist nämlich eine Versicherungsanstalt für das Bundesland Sachsen gegründet worden, die den Geschäftsbetrieb sämtlicher Versicherungsgesellschaften einschliesslich der Niederlassungen auswärtiger an sich gezogen hat. Man steht auf dem Rechtsstandpunkt, dass die vor dem 8. Mai 1945 fällig gewordenen Versicherungen nicht ausgezahlt zu werden brauchen.
Was die Versicherung bei der Allianz betrifft, so will ich zunächst einmal den Sitz der Hamburger Geschäftsstelle zu ermitteln versuchen und dann anfragen, ob das Kapital zu Deiner Verfügung gehalten wird. Soll ich für diesen Fall etwa vorschlagen, dass es Deinem Konto bei der Norddeutschen Kreditbank zugeführt werde? Es ist selbstverständlich, dass ich herzlich gern bereit bin, Dir bei der Klärung dieser Verhätlnisse beizustehen.
Mit herzlichen Grüßen an Euch alle von uns allen

Dein Bruder (Martin)