dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

13. Dezember 1946

Mein lieber Wilhelm!

Wenn ich nicht seit Anfang November infolge Wiederauflebens der, wie ich hoffte, im Frühjahr endgültig überwundenen Rippenfellentzündung bettlägerig und arbeitsunfähig zu Hause gewesen wäre, würde ich nicht erst heute, nachdem ich nun wieder mit Diktieren anfangen kann, Deinen Brief vom 1. Oktober ds. Js. beantwortet haben, zumal auch der vorausgegangene Brief vom 7. Juli noch keine Rückäusserung meinerseits veranlasst hatte. Ich danke Dir zunächst für Deine freundlichen Wünsche zu meinem Geburtstage, der tatsächlich am 6. Oktober stattfand. Ich bin aufs äusserste erstaunt, dass Du über alle die Jahrzehnte hinweg dieses Datum Dir gemerkt hast. Mir geht es mit Deinem Geburtstag leider nicht so gut. Dunkel schwebt mir vor, dass er jetzt Anfang Dezember sein müsste. Aber das kann eine Konfusion mit Viktor Schmidt sein, der am 3. Dezember geboren war. Jedenfalls bitte ich Dich, bei Deiner nächsten Mitteilung nicht zu versäumen, mich authentisch über Deinen dies natalis zu unterrichten.
Der übrige Inhalt Deines Briefes hat mich tief berührt, aber, wie ich sagen muss, nicht verwundert. Ich bin ja hier fast seit meiner Rückkehr nach Leipzig intensiv mit der Bearbeitung derartiger Angelegenheiten befasst. Es ist nicht etwa so, dass diese Betriebsentziehungen sich gegen Nazis oder Militaristen als solche richten. Leider steht sehr häufig der Wunsch im Vordergrund, ein bedeutendes und gut gehendes Unternehmen in den Besitz der Allgemeinheit zu überführen. Es scheint mir, als lägen auch Deinem Falle derartige Tendenzen zu Grunde, denn Dich kann doch wahrlich kein denkender Mensch als Faschisten oder Militaristen und nun gar noch als Judenfeind – ich denke an Deine erste Gattin! – ansehen. Hoffentlich bewahrheiten sich die Erwartungen, die Du auf die Stellungnahme der Dich kennenden Behörden und insbesondere auf den oldenburgischen Ministerpräsidenten setztest. Glaubst Du, dass beim Entnazifizierungsausschuss Dir vielleicht eine Erklärung von mir dienlich sein könnte? Ich komme zu dieser Frage, weil ich von verschiedenen Leipzigern, die jetzt in anderen Zonen ihre Entnazifizierung betreiben, um derartige eidesstattliche Versicherungen angegangen worden bin.
Ueber die der allgemeinen Oeffentlichkeit angehörenden Vorgänge, die Du, wie das Nürnberger Gerichtsurteil, erwähnst, möchte ich mich nicht auslassen. Nach meinem Dafürhalten kann man über diese Dinge nur von Person zu Person diskutieren oder sie in wohlüberlegten Aufsätzen behandeln, die aber nirgends gedruckt werden dürfen. einig ist ja das ganze Volk über Ausgangspunkt und Ziel, aber über die Durchführung kann man allerdings sehr verschiedener Meinung sein.
Mit freundlichen Grüssen – auch an Deine Gattin
Dein alter (Drucker)