dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

2, Nightingale Road,
Dover, Kent 18.6.1946

Lieber, verehrter Herr Justizrat,

Haben Sie vielen Dank fuer die freundlichen Gruesse, die Sie mir durch Dr. Krausse haben uebermitteln lassen. Doch hat er auch hinzugefuegt, dass Sie krank seien. Das tut mir innig leid, und ich wuensche Ihnen von ganzem Herzen Genesung und Wiederherstellung Ihrer Arbeitskraft; denn ich kann mir lebhaft vorstellen, dass eine Persoenlichkeit wie Sie jetzt nicht entbehrt werden kann. Sie werden das als eine grosse Genugtuung empfinden. Und das wird Ihnen die Kraft geben, das Leben in dieser schlimmen Welt zu ertragen.
Ich nehme an, dass Ihnen Dr. Krausse naeheres von meinen Schicksalen erzaehlt hat, und ich brauche Ihnen deshalb wohl von mir nichts weiter zu berichten. Eigentlich sollten auch Sie  einen solchen Bericht erhalten, wie ich ihn an meine deutschen Freunde verschickt hatte; ich hatte es nur deshalb noch hinausgeschoben, weil ich mir erlauben wollte, damit ein paar juristische Fragen zu verbinden im Zusammenhang mit der Anmeldung von Wiedergutmachungs-Anspruechen. Aber damit will ich Sie heute, so Sie noch leidend sind, nicht behelligen, zumal da eine Anmeldung, wie sie in Berlin bereits moeglich ist, in Sachsen noch gar nicht zugelassen zu sein scheint.
Ich bin hier, wie Sie sich denken koennen, in Verbindung mit Frau Dr. Hodes und Familie Dr. Michaelis. Dr. Hermann Michel, den ich auch noch angetroffen habe, ist leider am 22. Februar d. J. nach kurzer Krankheit gestorben. Vor kurzem hat uns hier Dr. Lothar Guenther besucht, der frueher in Dresden Staatsanwalt und Mitarbeiter im JM. war; er geht jetzt nach langer und z. T. schwerer Emigrationszeit nach Deutschland zurueck, wo er sich in Luebeck niederzulassen gedenkt.
Mit dem Kollegen Dr. (Kurt) Hammer  in Schanghai stehe ich wieder in Briefwechsel; er traegt sich mit dem Gedanken, nach Deutschland zurueckzukehren, da er, wie er schreibt, keinesfalls drueben bleiben kann und sonst nirgendswo in der Welt Verbindungen mehr hat. Barbans haben mir durch ihn Gruesse geschickt. Er ist Praesident der dortigen Vereinigung mitteleuropaeischer Anwaelte. Dass Dr. (Leo) Lewy in New York seinem Lungenleiden, das er schon vor seiner Auswanderung in sich trug, erlegen ist, werden Sie wissen auch seine Mutter ist gestorben. Dr. Werner Salomon schrieb mir vorigen Sommers aus Leeds unmittelbar vor seiner Entlassung aus dem englischen Heeresdienst, dass es seiner Mutter und Schwester in Locarno und seinen Bruedern in Brasilien gut gehe, abgesehen davon, dass Gerhards Ehe 1940 geschieden worden ist. – Ueber Nachods wissen Sie auch wohl Bescheid. Hans N(achod). war erst Professor an verschiedenen Colleges und arbeitet jetzt mit einem …book dealer zusammen, was ihn sehr befriedigt. Sein Sohn hat einen leitenden Posten in einer grossen Petroleum-Raffinerie und ist gluecklicher Vater zweier Buben. Leider huellen sich Nachods seit laengerer Zeit in Schweigen; hoffentlich ist nicht Krankheit die Ursache. Dass Walther Bruegmann im August v.J. in Bern einem Herzleiden erlegen ist, haben Sie vielleicht gehoert. Er hatte vorher noch die schoene Genugtuung erlebt, dass ihm die Inszenierung der Salzburger Festspiele angeboten worden war.
Ob Sie von Ihrem Onkel (Paul Drucker, 1863-1942) wieder etwas gehoert haben? Und Paul Stern sowie Fr. Dr. (Margarethe) Fiedler sind wohl auch unter den ungluecklichen Opfern des Nazismus? genau wie meine arme Schwester (Konzertsängerin Anna Henriette Jaffé, 1890-1942).
Seit ich den Bericht fuer meine deutschen Freunde verfasste, ist es mir gelungen, wenigstens ein kleines Halbtagspoestchen beim Education Committee hier, d.h. in der Geschaeftsstelle, zu finden, allerdings nur auf Zeit bis ein Heeresangehoeriger zurueckkommt, ausserdem aber 3 Schueler für Deutsch, die sich hoffentlich vermehren werden.
Mit einer besonderen Empfehlung an Dr. Eckstein u. den besten Wuenschen für Ihr u. der Ihrigen Wohlergehen begruesse ich Sie zugleich im Namen meiner Frau als Ihr aufrichtig ergebner Jaffé