dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

7. Oktober 1946

Liebe und verehrte Frau Cerf!

Weil Dr. Eckstein den Brief, den Sie und Ihr Gatte unter dem 28. Juli ds. Js. an uns gerichtet haben, inzwischen mit einem Schreiben an Erich beantwortet hat, habe ich den besonderen Vorzug, mein Schreiben an Sie selbst richten zu dürfen. Sie wussten schon, dass wir den von Ihnen erwähnten Brief, den Sie Herrn Fruchtmann zur Beförderung mitgegeben hatten, nicht bekommen haben. Deshalb ist es uns von ganz besonderem Werte, aus Ihren Zeilen Näheres über Ihr Ergehen in diesen langen Jahren zu erfahren. Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich Ihnen zuletzt wohl von Luzern aus geschrieben. Ob Sie meinen Brief bekommen haben, erinnere ich mich nicht mehr. Später mussten wir uns auf ganz kurze geschäftliche Mitteilungen beschränken. Andererseits erfuhren wir aber auch von Ihnen gar nichts Näheres. Die Nazipresse hatte ein starkes Interesse daran, gerade über Palästina nur solche Dinge zu berichten, die von Uebergriffen der Juden gegen die Araber als die rechtmäßigen Herren des Landes erfüllt waren. Es scheint nun, als wäre die damalige Zeit für Sie politisch viel erträglicher gewesen als die jetzigen Umstände. Aber es wird für Sie doch eine besondere Genugtuung sein, dass Sie mit Ihren beiden Töchtern so glückliche Erlebnisse gehabt haben und für die Zukunft noch erwarten dürfen. Mottchens (Aleeza Cerf-Baere) international gerichtete Verlobung und Heirat nahm unser besonderes Interesse in Anspruch.
Ueber unser Ergehen hat Eckstein ja bereits berichtet. Sie werden daraus auch ersehen haben, dass das zu Ihnen gelangte Gerücht, ich sei Präsident des Reichsgerichts geworden, keinen Hintergrund hat. Erstens gibt es gar kein Reichsgericht mehr und wird nie wieder eins geben, und zweitens käme ich als dessen Präsident niemals in Frage, solange es noch einiges für die Anwaltschaft zu tun gibt. Aber auf dieses Thema kann ich des Näheren nicht eingehen.
Über (Erich)  Joskes Erlebnisse bin ich gut unterrichtet, da er darüber an seinen Freund Gey ausführlich berichtet hat. An die Rückkehr nach Deutschland glaube ich allerdings nicht.
Ich könnte Ihnen noch allerlei erzählen, aber Ihr Gatte hat recht mit seiner Bemerkung, dass es ein lächerliches Unterfangen sein würde, über diese letzten zwölf Jahre berichten zu wollen. Man kann aus dem wenig schmackhaften Kuchen nur immer einige ganz besonders widerwärtig schmeckende bittere Mandeln herauspicken, und davon will ich lieber absehen.
Mit herzlichen Grüßen Ihnen beiden von meinen Töchtern und mir
Ihr getreuer (Drucker)