dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Uppsala, 12.6.46

Mein Schwager (Fritz) Salomon bat mich  neulich um Deine Adresse; er möchte Dir schreiben.

Lieber Martin

Seit Deinem ausführlichen Briefe vor einigen Monaten (er hatte kein Datum, kam aber meiner Erinnerung nach im April) habe ich von Dir keine driecte Nachricht mehr erhalten und nur kürzlich aus einer Mitteilung von Hanna Dobriner erfahren, dass Du fortgesetzt eifrig im Berufe tätig bist. Meine Antwort, in der ich Dir über uns und unsere Geschwister Nachricht gab, u. a. über Conrad und Richard (Burian), der im März endlich Belgrad verlassen und zu seinen Kindern reisen konnte, hast Du hoffentlich erhalten, und nun wäre ich Dir dankbar, wenn Du mir regelmässig weiter schreiben wolltest, auch wenn nichts besonderes zu berichten ist. Eine Postkarte genügt dann, und wenn Du zu sehr beschäftigt bist, übernehmen vielleicht Ina oder Renate die Vertretung, oder Ursel, von der ich noch keine Handschriftprobe gesehen habe, findet vielleicht eine Viertelstunde, um sich mit dem alten Onkel zu unterhalten.
Wie gewöhnlich ist von uns nicht viel zu erzählen. Das Leben ist schrecklich monoton geworden. Unsere Beschäftigungen und äusseren Verhältnisse sind unverändert, aber wir haben nur wenig Verkehr, zumal ein Teil unserer Bekannten weggezogen ist. Gertrud möchte schon lange eine hellere Wohnung haben, wegen des Malens, es ist aber sehr schwer etwas zu finden, denn die Concurrenz ist sehr gross und die Mieten sind sehr teuer geworden. Für eine brauchbare moderne Dreizimmerwohnung muss man mit mehr als 2000 kr. Miete rechnen. Sonst haben wir es hier natürlich viel leichter als alle Anderen, denn obwohl noch einige wichtige Nahrungsmittel rationiert sind, hat man doch alles reichlich. Es werden auch viele Nahrungsmittelpakete ins Ausland geschickt, wofür gewisse Vorschriften bestehen, und wir tun das auch. An dich liessen wir vor einigen Wochen ein solches abgehen, und ich hoffe, dass es einzutreffen begonnenh hat. In Eure Zone darf man nämlich nur kleine Pakete bis 1/2 kg schicken und so muss alles in dieser Weise verpackt werden und kann deshalb nur tropfenweise ankommen. Ich füge unten eine Liste (x) an, aus der Du entnehmen kannst, was unterwegs ist, und wenn Du für die Zukunft andere Wünsche hast, bitte ich sie zu nennen. Tabakwaren habe ich noch nicht geschickt, weil Du s. Zt. das Rauchen aufgegeben hattest, sie können aber später folgen, wenn Du willst. An Hanna Dobriner ist auch etwas gesandt worden. Gertruds Freundin in Paris hat wiederholt Pakete von uns bekommen – dorthin geht die Sache einfacher – und war jedesmal sehr glücklich.Die Nazis haben besonders in Frankreich, Holland und Polen unbeschreiblich geplündert; es ist einfach nichts mehr da; Nahrungsmittel, Kleider, Kunstgegenstände, Bibliotheken, Fabriksausrüstungen usw.; alles ist geraubt oder zerstört. Wenn es bei Euch mit dem neuen Regime auch wohl etwas besser geworden sein dürfte, so vermute ich doch, dass unsere Sendung Euch willkommen sein wird.
Wie geht es Betty? Hat sie sich weiter erholt? Grüsse sie und alle Anderen herzlich von uns. Dein Carl

(x) Mehl 1/6 kg, Brot 3/4 kg, Trockenmilch 1 kg, Fischkonserven 3 Büchsen, Kaffee 1/2 kg, Thee 1/4 kg, Chocolade 4 Paketchen, Zucker 1/4 kg, Käse 1 Paket, Speck 0,7 kg