dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Dr. Carl Horn
Rechtsanwalt und Notar
Berlin-Charlottenburg 9
Kastanienalle 34
Berlin, den 22. Januar 1946

Herrn Justizrat Dr. Martin Drucker
(10) Leipzig C 1
Europahaus, 10. Stock

Lieber Herr Kollege Drucker!
Vor einigen Tagen besuchte mich Herr Kollege Bartmann hier in den Westender Kuranstalten – wo ich z. Zt. wegen einer akuten Herzgeschichte liege – und erzählte mir dabei, daß Sie mit dem Gedanken umgingen, den Deutschen Anwaltverein wieder auf die Beine zu stellen. Der Gedanke hat mich seitdem nicht losgelassen, und das ist der Grund, warum ich Ihnen heute schreibe.
Ich begrüße Ihren Plan, den Deutschen Anwaltverein wieder ins Leben zu rufen, aufrichtig. Ich habe immer auf dem Standpunkt gestanden und dies in den Beratungen im Vorstand der Vereinigung der Rechtsanwaltskammern und in anderen Gremien immer betont, daß der Deutschen Anwaltverein geschaffen werden müsse, wenn er nicht schon da wäre. Das ist auch heute mein Standpunkt.
Deshalb möchte ich Ihnen schreiben, daß ich mich Ihnen für jede Mitarbeit für die Wiederherstellung des Deutschen Anwaltvereins zur Verfügung stelle.
Ich darf dabei eins vorweg bemerken:
Es handelt sich für mich nicht darum, daß ich mir irgendeinen Posten oder ein Pöstchen besorgen möchte. Wenn ich das wollte, hätte ich andere Möglichkeiten. Aber ich will nicht. Ich will meine Ruhe haben. Ich bin über die 70 hinaus, habe in meinem Leben viel gearbeitet und will in den paar Jahren, die ich vielleicht noch zu leben habe, etwas für mich haben. Ich interessiere mich für den Deutschen Anwaltverein auch nicht meiner Praxis wegen. Für meine eigene anwaltliche Tätigkeit habe ich das nicht nötig. Meine beiden Söhne, die Juristen waren und die Anwälte werden sollten, sind beide tot. Persönliche Interessen scheiden also aus. Wenn ich mich trotz des Fehlens solcher Interessen für den Deutschen Anwaltverein interessiere, so geschieht das, weil ich weiß, wie notwendig wir eine Organisation wie den Deutschen Anwaltverein haben.
Sie könnten mir entgegen halten, daß es seinerzeit nicht notwendig gewesen sei, daß der Sitz des Deutschen Anwaltvereins von Leipzig nach Berlin verlegt wurde und diese Sitzverlegung dem Deutschen Anwaltverein geschadte habe. Diesen Einwand kann ich nicht anerkennen. Die Sitzverlegung war unter den Verhältnissen vor 1933 notwendig. Wir standen damals in Deutschland im Zeichen der absoluten Zentralisierung.  Die Wirkungsmöglichkeiten waren m.A. nach ganz zweifellos größer, wenn die Leitung des Deutschen Anwaltvereins in Berlin saß.
Das ist jetzt ganz anders. Jetzt im Zeichen des Auseinanderstrebens fast aller Teile Deutschlands halte ich es sogar für gut, wenn eine allgemeine deutsche anwaltiche Interessenvertretung nicht in Berlin, sondern in Leipzig sitzt. Meine Ansicht ist also: Wiederauferweckung des Deutschen Anwaltvereins, Sitz in Leipzig, unter Ihrer Präsidentschaft zwecks Zusammenfassung möglichst aller Anwälte in allen Teilen und Gliedstaaten Deutschlands.
Die Organisation sollte M.m. nach zunächst möglichst einfach sein: ein Vorstand von nicht allzuviel Personen, vielleicht 12 oder 15, und daneben eine Vertreterversammlung von etwa höchsten 100 Köpfen.
Ich will hier nun heute in diesem Brief nicht weiter auf die Einzelheiten eingehen. Wenn Sie sich meiner Mitarbeit bedienen wollen, stehe ich Ihnen – wie gesagt – ganz zur Verfügung. Sie werden es nicht als Ueberhebung ansehen, wenn ich sage, daß ich glaube, daß meine Mitarbeit, meine Unterstützung des Deutschen Anwaltvereins nicht nur in Berlin, sondern bei weiten Kreisen der deutschen Anwaltschaft – ich habe mir durch meine Arbeit als Schriftführer und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Vereinigung der Rechtsanwaltskammern manchen Freund in Deutschland erworben – eine wesentliche Unterstützung Ihrer Pläne bedeuten würde.
Sie werden mich vielleicht fragen, ob ich über meine zuvor entwickelten Ideen mich mit Herrn Kollegen Dix in Verbindung gesetzt hätte. Das ist nicht der Fall. Auch mit Bartmann habe ich nicht weiter gesprochen, als ich im Anfang erwähnte. Zwischen Bartmann und Dix besteht kaum noch eine Verbindung. Sie haben ihre Sozietät oder Bürogemeinschaft per Ende 1944 aufgelöst. Bartmann sitzt jetzt hier in meiner Nähe Charlottenburg 9, Hessenallee 3. Ein Herantreten an Dix halte ich weder für nötig noch für gut. Ich habe genügend Vorstandsitzungen unter ihm mitgemacht, um sagen zu können, daß bei ihm – wenn ich es einmal so ausdrücke – seine Person förderlicher Arbeit zu stark im Wege steht. Ich denke mit Entsetzen an eine Vorstandssitzung im März 1933, in der viele Stunden lang darüber debattiert wurde, ob es für den Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins, Herrn Dix, zweckmäßig und tragbar sei, daß er sich mit den damligen Prominenten der NSDAP in Verbindung setze. Solche persönlichen Dinge schaden der sachlichen Arbeit.
Leider fand Dix damals keinen Widerstand bei der Mitgliedern des Vorstandes des DAV. Wie wenig die Herren die Situation damals übersahen, zeigt die Tatsache, daß zu einer Sitzung mit Freisler Anfang Mai 1933, in der über das Schicksal des Deutschen Anwaltvereins und der Juristischen Wochenschrift entschieden wurde, außer mir kein einziger Mitglied des Vorstandes erschien, außer natürlich Dix, der als Präsident da sein mußte. In jener Sitzung gelang es mir durch meinen hartnäckigen Widerstand, der mir von Seiten des anwesenden Kollegen Erwin Nowack, sogar Bedrohung mit dem Konzentrationslager eintrug, zu erreichen, daß die Juristische Wochenschrift unverändert erhalten wurde.
Die Hauptaufgabe des Deutschen Anwalt-Vereins wird auch sein, die Juristische Wochenschrift wieder auf die Beine zu stellen. Ich habe gehört, daß Herr Schiffer einem solchen Plan nicht sehr geneigt sei; man soll angeblich eine eigene zusammenfassende Juristische Zeitschrift herausbringen wollen. Deshalb ist bei den Plänen mit dem Deutschen Anwalt-Verein und der Juristischen Wochenschrift auch eine gewisse Eile geboten.
Man wird sich natürlich mit den Vertretern des Besatzungsmächte ins Einvernehmen setzen müssen.
Ich werde in kurzer Zeit wieder voll arbeitsfähig sein. Ich habe mich körperlich überanstrengt beim Holzkleinmachen für unseren Kachelofen, die einzige Wäremquelle, die wir bisher hatten, weil die Zentralheizung unserer Wohnung mangels Koks nicht funktioniert. Aber ich bin überraschend schnell wieder auf die Beine gekommen. Ich bin seit dem 11. ds. Mts. hier in den Kuranstalten. Mit Bettruhe und Strofantinspritzen haben mich die Aerzte so schnell wieder in Ordnung gebracht, daß ich in 8 Tagen  mit Sicherheit auf Rückkehr nach Hause rechnen kann. Dann stehe ich für etwaige gemeinsame Arbeit voll zur Verfügung.
Lassen Sie mich nun schließen, indem ich noch meiner Freude darüber Ausdruck gebe, daß Sie Ihre Praxis wieder aufmachen können. Bartmann erzählte mir, daß man Sie pensioniert habe, daß Sie aber wieder zugelassen worden seien und Ihre Praxis wieder eröffnet hätten. Da freut mich umso mehr von Herzen, als ich Ihnen gegenüber etwas Gewissensbisse deswegen empfinde, weil ich seinerzeit Ihre Verteidigung abgelehnt habe. Ich habe damals grundsätzlich Verteidigungen, auch in anwaltlichen Ehrengerichtssachen, abgelehnt, weil ich kein Strafverteidiger bin, von Strafsachen wenig verstehe und nach meinem Ausscheiden aus dem anwaltlichen Ehrengericht nun nicht gleich meinerseits als Verteidiger vor diesem Ehrengerichte auftreten wollte. Wenn ich mir die Sache heute überlege, tut mir das auch nicht leid. Nur bei Ihnen hätte ich es anders machen sollen. Die Anschuldigungen gegen Sie waren so ungeheuerlich, daß ich mein Bedenken hätte überwinden sollen. Das möchte ich Ihnen doch bei dieser Gelegenheit  einmal zum Ausdruck bringen.
Damit lassen Sie mich schließen.
Wenn Sie von meinem Angebot keinen Gebrauch machen wollen, so seien Sie überzeugt, daß ich Ihnen das nicht übel nehme.Ich bitte dann, diesen Brief wegen der in ihm enthaltenen Aeußerungen über gewissen Herren zu vernichten.
Mit herzlichem Gruß
Ihr stets sehr ergebener
Horn, Rechtsanwalt

Bitte entschuldigen Sie die vielen Schreibversehen der Sekretärin. Etwas ungewohnter Gegenstand! Deshalb zu schwierig.