dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Weilburg a. d. Lahn
23.I.46

Sehr geehrter Herr Justizrat!

Sie werden sich gewiß gewundert haben, dass wir uns in Leipzig garnicht mehr getroffen haben. Am 25. Juni wurde ich, zusammen mit anderen Kollegen des naturwissenschaftlichen Fakultät, von der amerikanischen Militärregierung kurzerhand, ausgestattet mit 2 Köfferchen nach dem „Westen“ displaced, um den Russen nicht in die Hände zu fallen. Grosse Versprechungen für unsere künftige Tätigkeit wurden abgegeben, wie Institute, vollkommen eingerichtete Wohnungen, hohes Einkommen. Nichts von alledem hat sich bewahrheitet; im Gegenteil, dauernde Unannehmlichkeiten sind zu überwinden. Tätigkeit fand sich bisher noch nicht, obgleich sie bei gutem Willen gewiss zu schaffen wäre.
Meine Frau und ich sitzen noch in Weilburg, wo wir zunächst für 3-4 Tage von unserem Auto abgeladen wurden. Weilburg ist eine nette freundliche Stadt, schön an der Lahn gelegen, mit mächtigen nassauischem Schloss. Die Umgebung ist sehr reizvoll, viel Wald. Verpflegungsmäßig geht es uns sehr gut; das ist der einzige Lichtblick. Wir wohnen in einem Landgasthaus, etwas primitiv, aber mit guter Kost, wie sie sich eben nur Bauern und Selbstversorger leisten können. Nur hilft das nicht darüber hinweg, dass die Wechsel auf die Zukunft sehr ungewiss sind. Vielleicht kommen wir nach Leipzig zurück; vorläufig ist die Rückkehr nicht gestattet.
Es würde mich freuen, einmal zu hören, wie es Ihnen geht. Mit den besten Grüßen verbleibe ich
Ihr E. Krenkel.