dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

München-23, 15.1.46

Lieber Onkel!

Herzlichen Dank für Deinen Brief vom 29.12., der mich in den letzten Tagen des alten Jahres erreichte, und für Eure guten Wünsche! Meine Neujahrswünsche auf einer Postkarte vom 24.12. haben Euch hoffentlich auch erreicht. Auch dieser Brief vom 19.12. ist wieder ein Zeugnis Deiner unverwüstlichen Vitalität! Wie fein, daß Du wieder so aus dem Vollen arbeiten kannst.
Wegen Wiederaufbaus der Leipziger Zentrale für Jugendfürsorge hatte LG-Präsident Neu inzwischen an mich geschrieben. Ich habe ihm ein Exposé aus meiner Erinnerung geschickt. – Unterlagen habe ich leider keine – und mir ergänzende Mitteilungen erhalten. Soeben erhalte ich eine gleichartige Anfrage von einem Oberregierungsrat xxx (kaum leserlich) in der Landesverwaltung Sachsen, Abt. Justiz, in Dresden. Ich werde ihm einen Durchschlag meines Exposés für Neu schicken. Natürlich ist es sehr fein, dass Mutters Lebensarbeit solch‘ eine Wiedereröffnung findet – für mich eine Verpflichtung dafür zu sorgen, daß sie möglichst in ihrem Sinne geschieht, freilich schmerzlich, daß sie diese Genugtuung nicht mehr erlebt.
Überhaupt komme ich innerlich nicht darüber hinweg, daß sie diese doch einzigartige Rehabilitierung dieser Einstellung nicht mehr erlebt. Während ich das Bewußtsein in allen diesen 12 Jahren nie verloren habe, daß meine Haltung in allem sittlich richtig war, und aus diesem Bewußtsein heraus  so lange den Weg ins Berufsleben nicht finden konnte, empfand sie meine Ausbootung zu 20 (?) % doch als eine gewisse Strafe des Schicksals für abwegiges Verhalten. Ich bin so eingebildet, mir jetzt sogar umzuordnen (?), daß gerade meine …(?), insbesondere meine Abstinenz von aller Streberei mir jetzt die Möglichkeit verschafft habe, daß ich mir wirklich keinerlei Nachgeben gegenüber dem Nazidruck vorzuwerfen brauche. Vorwerfen muß ich mir nur, daß ich es nicht fertiggebracht habe, auch für jene 20 % Mutter von der Richtigkeit dieses Standpunktes zu überzeugen.
Und dazu das Andere: daß ich nicht in der Schweiz einfach sitzen geblieben bin, allemal wegen dieser … (?) zu Ende gegangen war – die Sorge (?) der Schweizer Armenfürsorge zur Last zu fallen, hätte man überwinden müssen.
Meine Hilfsarbeit bei der Schuttwegräumung habe ich mit dem Ende des Jahres – nach Vollendung des sechsten Monats – einstweilen abgebrochen; ich war doch froh, daß mir das Experiment gesundheitlich so gut bekommen ist, daß ich weder meine Arbeitkollegen durch Ungeschicklichkeit geschädigt noch selbst irgendeinen Unfall erlitten habe. Jetzt arbeite ich jeden Vormittag wieder im Beck-Verlag, wo ich aber eigentlich in der Arbeit überflüssig geworden bin, nachdem der von mir vertretene Jurist seine Arbeit wieder aufgenommen hat. Das ist eine etwas heikle Stellung, die irgendwie bald ein Ende finden muß. Meine Bewerbungen bei der Handelskammer und auch bei der Justiz in München waren erfolglos; ein Gesuch bei der Stadtverwaltung schwebt noch.
Eine Aufforderung von MinRat Dr. Ebert aus der Sächsischen Landesverwaltung zum Eintritt in die Abteilung Arbeit als juristischer Referent habe ich abgelehnt, weil ich nicht wieder nach Dresden gehen möchte.
Auch die Frage von Neu (en passant), ob ich nicht wieder in die Sächsische Justiz kommen möchte, habe ich verneinend beantwortet. Zuzeit wilkl ich mir meine Schweizer … (?) nicht verbauen. Das hiesige Schweizer Generalkonsulat … (?) Korrespondenz mit Bern (Weltpostverein) und mit Genf (Arbeitsamt) in sehr wohlwollender Weise.
Und wenn es mit der Schweiz sich nicht einrichten sollte, lockt mich schon Amerika: Die „Amerikanische Rundschau“ lese ich stets mit großer Begeisterung.
Dein Vorschlag einer Professur für Arbeitsrecht in Leipzig hat gewiss etwas sehr verlockendes. Nur habe ich keine Habilitationsarbeit fertig und von der Regierung der Fakultät aufoktruieren lassen möchte ich mich nicht. Mein Studien der letzten Jahre haben auch mehr dem Internationalenund Ausländischen Recht gegolten („fonds de commerce“ des französischen Rechts – internationales Kartellrecht). – Ich habe leider so gar kein Geschick mich an einen Professor anzubiedern. Aber ich will gestehen, auf eine akademische Lehrtätigkeit sind nach wie vor meine geheimen Wünsche gerichtet. Auch bei meinen Schweizer Plänen spielen sie mit. Anliegend eine Aufstellung meiner bisherigen schriftstellerischen Arbeiten – alles leider nur Aufsätze, kein Buch darunter!
Allenfalls die Nr. 1: eine Verarbeitung meiner Entscheidungen als Schlichter, vielleiucht nicht ohne einen gewissen historischen Wert. Welcher Verlag wäre geneigt, so etwas herauszubringen?
Denke nur: vom Sohn von General (Günther) von Bresler Anfang 1945 als frischer Dr. med. und Oberarzt in das Etappenlazarett im Osten gekommen, dann aber zur Sanitätstruppe versetzt, welche beim Rückzug über die Weichsel als Kampfformation zur Deckung des Rückzuges eingesetzt wurde – letzte Nachricht vom 12.2., seitdem kein Lebenszeichen.

Herzliche Grüße an Ina, Ursel und Renate
Dein treuer Neffe Heinrich Scheuffler

Noch eine Bitte: Verwende, bitte, Herrn Dr. Mau, nicht wieder als Vermittler zu mir. Irgendetwas in unserer Unterhaltung damals muß ihn so verstimmt haben (meine Bauhilfsarbeit fand er offenbar lächerlich), daß er kaum die übliche Höflichkeit wahren konnte bei meiner Hinauskomplimentierung.

Anlage (Nr. 288)

Abhandlungen von Dr. Heinrich Scheuffler

a. Arbeitsrecht

1. „Schlichterentscheidungen im Nachverfahren aus den Jahren 1930 bis 1933 (aus der Inflationszeit), 1934 bisher nicht veröffentlicht
– (siehe auch unten unter Nr. 6, 7, 8) –

b. Finanzrecht

2. „Die Konsumtion (ne bis in idem) im Abgabenverfahren“
– in „Steuer und Wirtschaft“ 1940, Sp. 243 ff. –
2a. Die Besteuerung von Fabrikgebäuden – in der Regel keine Abschreibung auf den Teilwert“
– in Frankfurter Zeitung v. 12.7.1938  Abendblatt/Erstes Morgenblatt, Nr. 349, S. 6 –
3. „Gerloff: Die Entstehung einer öffentlichen Finanzwirtschaft – eine Besprechung“
– in „Steuer und Wirtschaft“ 1943, Sp. 669 ff. –
– (siehe auch unten unter Nr. 9) –

c. Internationales Recht

4. „Der Entwurf eines einheitlichen Gesetzes über das schiedsrichterliche Verfahren“
– in „Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht“ 1936 S. 534 ff. –
5. „Gesetzgebung in Frankreich im Jahre 1935“
– in „Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht“ 1937 S. 820 ff.: Beiträge auf: S. 840-843, 864-867 –
6. „Die Regelung der Arbeitszeit in der Schweiz, verglichen mit den internationalen Übereinkommen“
in „Zeitschrift für schweizerische Statistik und Volkswirtschaft“ 1937 S. 254 ff. –
7.  „Die Regelung der Arbeitszeit im Deutschen Reich, verglichen mit den internationalen Übereinkommen“ – 1936 –
– bisher nicht veröffentlicht –
8. „Die Regelung der Arbeitszeit im Deutschen Reich, in der Schweiz, in der Tschechoslowakei im Vergleich mit den internationalen Übereinkommen – Eine Gegenüberstellung in Tabellenform“   – 1937 –
– bisher nicht veröffentlicht –
8a. „Bilanz – 15 Jahre Internationales Arbeitsamt“
– in „Die SonntagsZeitung“ v. 7.3.1937 –
9. „Zwischenstaatliche Geltung des Devisenrechts“
– in: Giese-Neumann, Kommentar zum Devisengesetz (1939), S. 46-52 –
10. „Die Ratifikation im Weltpostverein“
– in „Zeitschrift für Völkerrecht“ 1940, S. 50 ff.
– in „L’Union de Postale“ 1942 nr. 10/11