dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

9. März 1946

Sehr geehrter Herr Professor!

Ihr Brief vom 23. Januar 1946 hat mich sehr erfreut, und ich bitte Sie sehr um Entschuldigung, dass ich durch Ueberbürdung mit Arbeit und zuletzt durch eine Krankheit verhindert war, ihn früher als heute zu beantworten. Dass wir uns in Leipzig nicht mehr getroffen haben, hat mich nicht allzu sehr gewundert. Ich war ja genötigt gewesen, im März vorigen Jahres mich nach Jena zu wenden, einerseits, weil ich bekanntlich in Leipzig obdachlos geworden war, andererseits, weil mir das Konzentrationslager in Aussicht stand. Nachdem ich Mitte Juni zurückgerufen worden war, setzte ja sehr bald der Weggang zahlreicher Professoren ein. Ich hörte auch von Ihrem Weggang.
Aus Ihrem Brief entnehme ich, dass zwar die Erwartungen, unter denen Sie Leipzig verliessen, sich nicht erfüllt haben, dass Sie aber doch sich in immerhin befriedigenden Verhältnissen befinden. Die Rückkehr nach Leipzig wird allerdings in absehbarer Zeit nich möglich sein, weil das Zuzugsverbot recht streng gehandhabt wird.
Ich habe in Leipzig eine ungewöhnliche, sich von Tag zu Tag steigernde Arbeitslast im Beruf vorgefunden und bin überdies durch meine Wahl zum Präsidenten des hiesigen Anwalts- und Notarausschusses und zum Vize-Präsidenten der sächsischen Anwalts- und Notarkammer, die ihren Sitz in Dresden hat, sehr stark in Anspruch genommen. Mit meinen beiden Töchtern, nachdem auch die ältere aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt ist, meiner Schwiegertochter und meinen Enkeln bewohne ich eine sehr schöne Wohnung, die allerdings im wesentlichen mit geborgten Möbeln ausgestattet ist und augenblicklich sehr an Reiz verloren hat, dass infolge Mangel an Koks die Zentralheizung nicht funktioniert. Aber ich habe schon schlimmeres als das durchgemacht.
Mit besten Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin und freundlichen Grüssen verbleibe ich

Ihr (Drucker)