dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

2. Juli 1946

Herrn
Rechtsanwalt Dr.  (Hermann) H e s s e
(13)   L i n d e n a u   /Kissingen, üb. Augsburg,
bei Dr. F. Dickhäuser.

Lieber Herr Kollege !

Ihre Frau Gemahlin übermittelte mir die Anfrage, ob es ratsam sei, von Ihrem jetzigen Aufenthalte aus an die hiesigen zuständigen Stellen ein Bewerbungsschreiben zwecks Wiederzulassung zur Anwaltschaft zu richten. Dazu erlaube ich mir, Ihnen im Folgenden meine Ansicht – mehr ist es nicht – mitzuteilen:
Gesuche um Wiederzulassung zur Anwaltschaft, sind an die Landesverwaltung – Justiz – in Dresden, -N25., Fabricestrasse, zu richten. Sie lässt diese Gesuche dann durch den vorläufigen Anwaltskammervorstand an die örtlichen Ausschüsse gehen, die eine Prüfung vornehmen und ihr Votum dann an den Kammervorstand zurückgeben, worauf in einer Kammervorstandssitzung in Anwesenheit eines Vertreters der Landesverwaltung darüber abgestimmt wird, ob die Wiederzulassung zu empfehlen ist. In allen diesen Fällen hat es sich aber bisher immer nur um solche Kollegen gehandelt, die bereits wieder nach Sachsen zurückgekehrt sind. Es ist mir in hohem Masse zweifelhaft, ob zur Prüfung auch das Gesuch eines Anwaltes zugelassen werden würde, der sich ausserhalb Leipzig, bzw. sogar ausserhalb der russischen Zone noch aufhält. Wenn ich bei der nächsten Anwaltskammersitzung, die am 8. Juli 1946 in Dresden stattfindet, etwas Positives darüber erfahren kann, so gebe ich Ihnen erneut Nachricht.
Was nun die Grundsätze, nach denen die Prüfungen stattzufinden haben, angeht, so sind sie überaus streng. Verlangt wird der Nachweis, dass der Gesuchsteller sich nicht aktivistisch als Nazi betätigt, sondern dass er im Gegenteil eine erhebliche antifaschistische bzw. antimilitaristische Haltung eingenommen hat. Eine Zeitlang wurde sogar verlangt, dass diese Einstellung sich bis zum Einsatz des Lebens gestaltet haben müsse. Dieses Extrem ist aufgegeben bzw. man kommt an ihm durch die Konstruktion vorbei, dass im Grunde genommen jede Auflehnung gegen das nazistische Regime eine Gefährdung des eigenen Lebens bedeutet haben würde. Aber hiervon ganz abgesehen sind die Anforderungen, die an den Nachweis der Würdigkeit für die Wiederzulassung gestellt werden, so hart, dass sie manchmal Befremden erregen. Es ist vorgekommen, dass der Leipziger Ausschuss mit seinen 12 Stimmen sich einmütig für die Wiederzulassung einsetzt und dass dann entweder durch die Abstimmung im Kammervorstand oder selbst nach dessen Zustimmung die Landesverwaltung die Zulassung ablehnt.
Unterstützt werden die Zulassungsgesuche durch eidesstattliche Versicherungen von Personen, die der Partei oder ihren Gliederungen nie angehört haben. Solche Erklärungen zu beschaffen würde Ihnen doch wohl so lange Sie nicht in Leipzig sind, nicht leicht fallen. Ich kann daher bei der jetzigen Sachlage Ihnen nicht empfehlen, ein Zulassungsgesuch einzureichen, stelle Ihnen aber anheim, meine weiteren Nachrichten abzuwarten.

Mit freundlichen Grüßen

(Drucker)