dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Elisabethfehn 7.7.46

Mein lieber, lieber Martin!

Dein Lebenszeichen vom 16/6 war mir eine richtige Freude. Aus meiner ganzen Jugendzeit habe ich mir ja nur den Kontakt mit einigen wenigen Freunden gerettet, und es ist ja auch nicht zu erwarten, dass noch weitere auftauchen werden.
Allerdings enthält Dein Bericht über Dein Schicksal Scheusslichkeiten über Scheusslichkeiten. Es ist bewundernswert, dass Du Dich doch noch bis in die vorletzte Phase der Bonzenherrschaft in Deiner Tätigkeit hast halten können. Beschämend ist wie unpolitisch blind die überwiegende Mehrheit des sächischen Volkes den Mängeln der herrschenden Kaste gegenüber sein konnte, und wie sie dadurch fast selbstmörderisch zu ihrem eigenen Untergang beitrug. Auch ich selbst habe das Verhängnis nicht zeitig herannahen sehen, befangen in der Gläubigkeit an Ideale und guten Willen, die überhaupt nicht existierten.
Um Ruhe in meiner Arbeit zu haben, hatte ich mich, nach den ersten Monaten hoffnungsvoller positiver Entwicklung, im Mai 1933 zur Partei gemeldet und war nach zweijähriger Bekämpfung als „Judengenosse“ 2935 beigetreten, lebte aber bis zum Ende im Streit mit den Parteigrössen und blieb durch den Mangel direkter Berührung ahnungslos. Heute halte ich mich trotz kommunistischer Anfeindungen, sodass ich wenigstens einigermaßen mein Unternehmen weiter führen kann. Sogar mit äusserstem Hochdruck, da Torf und Torfkoks bei der Not an Brennmaterial und Treibstoffen ein äussert wichtiger Teil des industriellen Aufbauprogramms sind. Wie offensichtlich Du, arbeite ich heute mehr als je von morgens 3/4 7 bis abends 7 1/2 am Schreibtisch arbeitend wie ich es 50 Jahre lang nicht getan und für möglich gehalten hätte, den Umständen entsprechend Lebensfrisch, obwohl mich beginnende Schwerhörigkeit, Augenleiden durch Starbeginn und besonders ein durch schweren Autounfall verursachtes Beinleiden schwer hemmen.
Was die Zukunft bringt? Ich glaube kindlich an die Wiedervereinigung der deutschen Bruchstücke, an die geistige Gesundung der vielen irregeleiteten Mitmenschen, an die langsame Wiederbelebung vernünftiger Arbeit, und daran, dass wir zwei den Beginn des Aufstiegs doch noch erleben, nachdem wir die bisherigen Belastungen überlebt haben.
Meine Frau ist zur Zeit in Westerland, um uns dort in einer Sechszimmerwohnung ein Buen Retiro für den erträumten schönen Fall, dass uns meine Fabrikarbeit einen Umzug in die Wohnung erlaubt. Schön wärs wenn wir uns, wenn nicht hier dann in Westerland einmal zur Musse treffen könnten.
Wann schreibst Du wieder?
Herzlichst Dein Wilhelm