Anlagen
- 1. Briefwechsel mit der Familie
- 2. Briefwechsel mit Verwandten
- 3. Briefwechsel mit Juristen
- 4. Briefwechsel mit Freunden und Mandanten
- 5. Ehrengerichtliches Verfahren/Versetzung in den Ruhestand
- 6. Gertrud Landsberg, Briefwechsel
- 7. Gertrud Landsberg, Fotos
- 8. Nachlass Martin Drucker, Manuskripte
- 9. Sonstiges
- Personenregister - Nachlass Martin Drucker
handschriftlicher Vermerk:
Herrn Justizrat Dr. Drucker, dem ich 25 Jahre nachzueifern mich bemühte. 6.10.34 Melzer
„Vom Rechte, dass mit uns geboren wird“
von Dr. Gustav Melzer Rechtsanwalt in Leipzig
Die jüdische Volkssage lässt die Mirjam aussätzig werden, weil sie (vor dem Volke) wider Mose geredet hatte (4. Mose 12), und sich darob der Zorn des Herrn über sie ergrimmte. Die Bibelerklärung hat sich vergeblich bemüht, den tieferen Sinn dieses schwer deutbaren Berichts zu ergründen, zumal die Auflehnung Mirjams mit gutem Recht erfolgt, „darum dass Mose eine Mohrin zum Weibe genommen hatte“. Die Gottesstrafe an Mirjam erscheint umso befremdlicher, weil sie im Bunde mit Aaron murrt, und Aaron von Gott zur Heilung des Aussatzes im ganzen Volke berufen ist (3. Mose 13, 1-2). Vielleicht gibt der Vergleich mit dem geschichtlichen Zeugnis der Orestie des Aischylos den Schlüssel für das Schicksal der Mirjam: Orest tötet, den Vater zu rächen, die buhlerische, am Mord seines Vaters mitschuldige Mutter. Er hat damit entschieden, dass ihm der Vater mehr gilt als die Mutter. Unter der Schlangenpeitsche der Erinnyen in den Wahnsinn getrieben, irrt er ruhelos umher, bis Athene selbst vor dem Arreopag, dem uralten Blutgericht, seine Freisprechung entscheidet. Damit hat das appolinische Recht der Zeugung, das Vaterrecht, den Sieg über das demetrische Recht des Fleisches, das Mutterrecht, errungen. Der Same erhebt sich über den Schoss, der ihn nur austrägt und gebiert; das Wesentliche ist die Frucht, nicht die Erde. Damit ist das von den Erinnyen vertretene Mutterrecht verworfen, das Vaterrecht, bis heute die höchste Stufe der Rechtsordnung, tritt die Herrschaft an.
Die Urgeschichte vollzieht sich in der freien Vermischung der Geschlechter, der Gemeinschaftsehe. Auch diese Zeit des Wildwuchses ist nicht ohne bindende Regeln der Nebeneinander, wenn auch das Gesetz des nackten Stoffes die Fessel hasst und jede Ausschliesslichkeit als Versündigung an der Gottheit zu unterdrücken sucht. Rechtssinn ist nichts dem Menschen Vorbehaltenes und von ihm künstlich Ausgedachtes. Auch das Tier wendet im Kampfe um die Arterhaltung Rechtsbegriffe an, wenn es das Eigentum an seiner Höhle, einem Lager oder einem Neste geltend macht, wenn es seine Beute, sein Weibchen gegen die Begehrlichkeit der Anderen verteidigt. Fr. Tiemann berichtet von drei Schwänen, einem männlichen und zwei weiblichen, die er auf dem Schloßteich des Grafen L. Sch. in der Nähe von Breslau beobachtet. Nach Eintritt der Paarungszeit scheuchte das Männchen die jungfräulich gebliebene Schwänin entgegen der früheren Freundlichkeit aus der Nähe des Nistplatzes. Während der Brutzeit, die ja die Gattin seiner Zärtlichkeit entzog, dehnte das Männchen seine Verfolgungen weit über das frühere Mass bis in eine Gegend aus, wo er und die mit Schnabelhieben verfolgte Jungfrau den Blicken der nistenden Gattin entzogen waren. Dort wurde er alsbald zärtlich und genoss die offenbar ihm selbst bedenklichen, von der Buhlin flugs und gern gewährten Reize des Ehebruchs. Das und die harmlos-ehrbare Rückkehr zu der nichtsahnenden Gattin widerholte sich oft (Zoologischer Garten, 1868). Sicher ist die Einehe der Tiere, sei sie wie bei Füchsen und Wölfen auf Jahreszeit, sei sie wie bei Tauben, Sperlingen und Papageien für das Leben, älter als die der Menschen. Sie in ihrem sittlichen Wert zu festigen, bedurfte es für die Juden der religiösen Verbrämung (1. Mose 2, 24), für die katholischen Kirchen der auf das Evangelium (Eph. 5, 22) gestützten Heiligung als Sakrament. Von Tiergerichten und der Vollstreckung ihres Befunds gegen unartig, artlos, nämlich asl Schädlinge an der Art erkrankte, werden auch die dumpf dämmernden Gehirne der Urmenschen Wahrnehmungen gemacht haben. Auch ihre Horden werden zwar nicht für Recht, aber doch immerhin auf Unrecht erkannt und Artwidrigkeit mit harten Strafen am Leibe bekämpft haben. Solche „Schädlingsabwehr“ haben wir ja heute noch bei Berufsverbrecherbanden und nicht nur in Amerika. Mitte Juli 1931 berichteten die Tageszeitungen über ein „Femegericht der Zigeuner“ in der Nähe von Olmütz, wo ein Zigeuner Anton Stoika bei Vermeidung des (Meuchel-) Todes vor das Zigeunergericht geladen und dort in einer Höhel von vermummten Männern zum Tode verurteilt wurde, weil er mehrere Genossen wegen Diebstählen angezeigt und so ins Gefängnis gebracht hatte. Durch vorübergehende Wanderer wurde der Vollzug des Erkenntnisses mit Holzknüppeln gestrört, und der bereitsd schwer verwundete Stoika zunächst ins Krankenhaus gebracht. Von dort wurde er bereits am nächsten Tag auf geheimnsivolle Weise entführt; seitdem ist er verschollen.
Will man den tiefsten Sinn der Worte und Begriffe erfahren, so braucht man nur bei unserer so herrlich bildhaften Muttersprache anzufragen: Im Althochdeutschen ist ewa, Altsächsischen ist eo „Bündnis, Gesetzt, Vertrag“, im Mittelhochdeutschen ist e das gesetzliche Verhältnis. Ehaft ist im altgermanischen Recht, das Rechtsgültige, vom Recht anerkannte. Ehaftrechte, Ehaftteidingen sind in der Schweiz und in Bayern (Gesetz vom 23. Februar 1868) noch heute die Bezeichnung für dingliche Rechte und Genehmigungen, die an bestimmte Orte oder Grundstücke gebunden sind. Dieses e, das auch in unserem „ewig“ wiederkehrt, ist die wörtliche und begriffliche Grundlage unserer Ehe. Die Bildung bewußten und gewollten Rechts setzt mit der Ehe, also als Mutterrecht ein. Die Frau, die die zum Lebens notwendigen Pflanzen sammelt und schließlich sogar anbaut, leistet der Artgemeinschaft mehr als die zu Jagd und Krieg zusammengeschlossenen Jungesellenbünde: damit tritt der gebärende Leib die Herrschaft innerhalb der Rechtsordnung an. Dei Römer haben einen schwachen Niederschlag dieser Entwicklung in dem farblosen Wort des „matrimonium“, der Mutterehe. Alles Mutterrecht gründet wie seine Schöpferin, die Mutter, in der Liebe, der versorgenden Güte, ist darum duldsam, leidend, auf Schutz bedacht. Mitgefühl, Barmherzigkeit, verzeihende Milde sind der Ausdruck des Mutterrechts, das die ihm Anvertrauten unterschiedslos am Busen bewahrt und darum nicht Gliederung, sondern allgemeine Gleichheit, Masse, „gleiches Recht für Alle“ will.
Wie beim Empor aus dem Mischmasch zum Mutterrecht, so bewirkt auch nunmehr das Vorwärtsstreben, die Auflehnung der für die Arterhaltung Wertvolleren die Rechtsbesinnung, Rechtsänderung: Die Menschen mehren sich. Trafen die durch Wälder, Berge und Wasser getrennten Sippen des ersten Mutterrechts oft in Jahrzehnten, über Menschenalter hinaus oft nicht aufeinander, so verengte sich der Raum und steigerte sich die kriegerische Reibung: jetzt tat der todbereit kämpfende Mann mehr für die Arterhaltung als die friedlich sorgende Mutter.Das Vaterrecht dämmerte herauf, das wie sein Hüter streng, angriffsfreudig ist, die ihm Unterworfenen gliedert, nach ihrem Werte ordnet, dem einzelnen nach Maßgabe seiner Leistungen für die Artgemeinschaft mit Rechten belehnt. Erst der Zwang zur Fortpflanzung in sichtbarer, nämlich an der Väterreihe erkennbarer Fortsetzung, also das strenge Eherecht gebiert die Vorstellung vom Geschlecht und seiner Unsterblichkeit. Der Wetteifer der Geschlechter, ihre Erfolge und deren öffentliche Anerkennung zeugen das Ansehen der Familien und fügen diese so in fester Ein- und Unterordnung zum Staate. Das mütterliche Recht sieht im Nebenmann immer den Angehörigen, den gleichgestellten Teilhaber der Lebensgemeinschaft, der aus seiner persönlichen Eigenart, seinen Beweggründen heraus verstanden ud so, wie er eben ist, hingenommen, mitgeschleppt werden muss. Das Mutterrecht will die Auschreitung begreifend verzeihen; das Vaterrecht will die Beschränkung, Selbstbescheidung des Einzelnen unerbittlich erzwingen. Es umfasst nicht, es wertet die Glieder; es setzt nicht die Nutznießer seiner Ordnung wahllos zur Tischgemeinschaft nebeneinander, es baut aus Wertstufen des Leistungsstranges den Staat, seine Staatsordnung auf. Das Müterliche ist das Recht des Möchtens und Gehrens, das väterliche das des Wollens und Müssens. Mater und Materialismus, Mutter und Verstofflichung des Weltgetriebes gehen auf dieselbe Wurzel zurück. Die Betonung des Erdlichen, des Fleisches, also das Mutterrecht, gestaltet seine Gesetze von unten nach oben, vom Einzelnen zum Ganzen, gefühlsmäßig vom Sein zum Dürfen. Der den Erben aus dem Blut zeugende Vater richtet dieser seiner Lebenshärte gemäßen Gesetze von oben nach unten, vom Ganzen auf den Einzelnen, aus der Erfahrung und nach der Beährung vom Müssen zum Sein.