dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Dr. Karl Klein
Direktor städt. Betriebe i. R.
Wisselsheim bei Bad Nauheim
23. September 1946
Hauptstraße 54

Herrn Justizrat Dr. Drucker
Leipzig
Brandvorwerkstraße 80

Mein lieber Martin.

Meinen letzten Brief hast Du wohl erhalten. Heute komme ich mit der grossen Bitte zu Dir, uns durch entsprechende Eingaben zu helfen, dass
1) Elsbeth (Wohlfahrt) ihre Pension wieder erhält und dass
2) ihr Sohn Frank (Wohlfahrt)  mit seiner Familie die Zuzugsgenehmigung nach Hamburg, wenn möglich in die seit einigen Jahrne beschlagnahmte Wohnung seiner Mutter, Hahnemannstr. 17 in Hamburg, zum Antritt seiner Stellung in Hamburg (1.X.46) wieder erhält.

Zu 1)
Elsbeth ist seit 1.VIII. 1946 ohne jede Begründung ihre bisherige Witwenpension entzogen worden und sie erhältr nur noch eine Untertsützung von RM 30,– im Monat, wovon sie unmöglich leben kann. Was das für sie im Alter von 80 1/2 Jahren bedeutet (Geburtstag 21. Mai 1866) brauche ich für Dich nicht noch auszuführen. Nun habe ich kürzlich eine Zeitungsnotiz gelesen, dass in der französischen Besatzungzone die Pensionen und Witwengelder für alle kaiserlichen Offiziere nicht gestrichen worden sind. Ich wollte auf Grund dieser Mitteilung eine entsprechende Eingabe machen und sandte diese zu dem Zwecke an Elsbeth einliegenden Fragebogen ein, die mir diesen aber nur teilweise beantwortete. Nach reiflicher Überlegung bin ich zu der Auffassung gekommen, dass Du als alter erfahrener Jurist wohl noch viel besser als ich die beiden Eingaben formulieren und schlüssig begründen kannst und bitte Dich herzlich darum, das zu tun.
Zur Sache selbst ist noch folgendes wohl von Bedeutuung. mein Schwager Oberstleutnant a. D. Barnim Wohlfahrt , geb. 1. Mai 1852 in Altstrelitz trat 1870 als Fahnenjunker in die Armee ein. Da Frankreich an Deutschland den Krieg erklärt hatte, musste Deutschland zu seiner Verteidigung einen Defensivkrieg führen. Auch nach den ganz neuen Begriffsbestimmungen der vereinten Nationen fällt ein DEFENSIV-Krieg eines angegriffenen Landes nicht unter die heutige Diskriminierung eines AGRESSIV-Krieges und hat daher auch nichts mit dem zu ächtenden deutschen Militarismus zu tun. Da mein Schwager bereits 1901 in Pension ging, sich also aus dem aktiven Dienste löste und bereits 1912, also vor 34 Jahren gestorben ist, kann er nicht zu denjenigen deutschen Offizieren gezählt werden, die jemals an einem Agressivkriege in irgendeiner Weise beteiligt gewesen sind. Alle daraus hergeleiteten Massnahmen wie die Streichung der Witwenpension seiner Frau entbehren somit jeder rechtlichen Grundlage. Nun schreibt mir Elsbeth, das Heeresversorgungsamt, das die Pension an sie zahlte, sei überhaupt aufgelöst. Wer nun die Witwenpension zu zahlen hat und an wen die Beschwerde-Eingabe zu richten ist, das dürfte eine unter heutigen Verhältnissen nicht einfache verwaltungstechnisch-juristische Doktorfrage sein, die Du besser als ich beantworten kannst. Ist es der hamburgische Staat, wo Elsbeth ihre letzte Wohnung hatte, die ihr beschlagnahmt wurde, als sie zur ärztlichen Behandlung ihres schweren Beinleidens bis auf weiteres zur ärztlichen Behandlung  zu Verwandten vorübergehend nach Döbeln ging? Ausserdem wurde sie ja im Dezember 1945 zwangsweise wieder nach Hamburg als ihren zuständigen Wohnort zurückgesandt und erhielt dort noch bis 1. August 1946 ihre Witwenpesnion ausgezahlt, wo sie bei ihrer Tochter Frau Anneliese Wunderlich in der JSE-Straße 98 seitdem wohnt. Ihre Tochter kann sie aber nicht mehr unterstützen. Deren Mann, Oberst Fritz WUNDERLICH, geb. am 28. April 1889 in Strassburg i. E. als Sohn eines Generals, war ebenfalls Berufsoffizier und macxhte 1914/18 den Krieg als Generalstabs-Hauptmann mit, ging aber im Jahre 1919 freiwillig ab und wurde Hamburger Kaufmann. Bei dem Sudenten-Einmarsch wurde er von der Nazi-Regierung als reaktivierter Hauptmann eingezogen und war zuletzt Oberst und Generalstabschef in Oslo in Norwegen, wo er sich noch in Gefangenschaft befindet. Ob und wann er freigelassen wird, steht noch dahin. Sein Bankkonto ist gesperrt, seine Frau hat seit Ende des Krieges keine Gebührnisse mehr ausgezahlt erhalten. sie ist somit mittellos und wird neben den Mieteinnahmen ihrer durch Flüchtlinge genutzten Wohnung von dem kleinen Gehalt ihres zweiten Sohnesm (Claus Wunderlich) , der bei dem Rundfunk in Hamburg angestellt ist, miterhalten. Ihr ältester Sohn (Horst Wunderlich) fiel vor Tunis. Sie kann also ihre Mutter nicht erhalten.
Elsbeth sandte mir als Unterlagen ausser dem nur teilweise ausgefüllten Fragebogen von mir nur noch die einliegenden weiteren 3 Beilagen ein, die sie bittet gut für sie aufzuheben.

Zu 2):
Elsbeths Sohn Frank, Musikschriftsteller und Komponist, geb. 16. April 1894 in Bremen, der nie PG war und kürzlich von der amerikanischen Militärregierung in München als politisch unbedenklich erklärt wurde, wohnt zur Zeit mit seiner Familie in Mittenwald in Oberbayern. Er hat einen Sohn von etwa einem Jahr und war die letzten Monate im Auftrag der Münchner Oper tätig. Nun wurde er im August von der Musik-Hochschule in Hamburg gegen gutes Gehalt fest angestellt als Dozent für Kompositionslehre und Musikgeschichte und es warten schon eine Anzahl von Schülern auf sein Kommen. Daraufhin gab er seine Münchner Anstellung auf und fuhr nach Hamburg, um seine Übersiedlung nach dort und Wohnungsbeschaffung vorzunehmen. Sein Gesuch um Zuzugsgenehmigung und wenn erreichbar um Einweisung für sich und seine Familie in die beschlagnahmte Wohnung seiner Mutter Hahnemannstraße 17 wurde jetzt vom dortigen Wohnungsamte abgelehnt, also die Zuzugsgenehmigung ihm verweigert, aus welchen Gründen hat Elsbeth mir auch nicht mitgeteilt. Damit ist Frank tatsächlich erwerbslos gemacht, er ist also infolge seiner durch das Hamburger Engagement vollzogenen Aufgabe seiner Münchner Tätigkeit stellungs- und mittellos geworden. Dabei hatte die Hamburger Musikhochschule ihm schriftlich zugesichert, dass sie alles tun würde, was in ihren Kräften stände, seine Einweisung in die Hamburger frühere Wohnung und Möbel seiner Mutter durchzusetzen. Frank wohnt in Mittenwald im Alpengasthof Reinech. Würdest Du auch hier eine eingehend begründete Beschwerdeeingabe gegen die Brotlosmachung von Frank und den Antrag, ihm die Zuzugsgenehmigung und Einweisung zu bewilligen – er hat ja auch keine Möbel – Deine hülfreiche Hand uns gewähren? Es liegt in beiden Fällen eine schwere Notlage vor.

Es ist mir nicht leicht geworden, Dich bei Deiner grossen Arbeitsüberlastung mit diesen Angelegenheiten noch weiter zu belasten. Ich hoffe aber, dass es Dir möglich ist, uns nach besten Kräften zu helfen und hier durchgreifende Abhilfe zu erreichen. In dieser Hoffnung bleibe ich mit den besten Grüssen von Haus zu Haus Dein alter Vetter Karl.

3 Anlagen