Anlagen
- 1. Briefwechsel mit der Familie
- 2. Briefwechsel mit Verwandten
- 3. Briefwechsel mit Juristen
- 4. Briefwechsel mit Freunden und Mandanten
- 5. Ehrengerichtliches Verfahren/Versetzung in den Ruhestand
- 6. Gertrud Landsberg, Briefwechsel
- 7. Gertrud Landsberg, Fotos
- 8. Nachlass Martin Drucker, Manuskripte
- 9. Sonstiges
- Personenregister - Nachlass Martin Drucker
14 Vale Close Twickenam (Mddx), 14. Juli 1946
Lieber Freund Drucker! Gestern empfing ich – und zwar mit großer Freude – Ihre Postkarte, zugleich Ihr erstes direktes Lebenszeichen. Ich will auf die unabänderlichen Fakten, die Sie mir mitteilen, hier nicht eingehen und nur meine Befriedigung darüber ausprechen, dass Sie offenbar auf dem besten Wege zur völligen Genesung sind, die hoffentlich inzwischen längst zur Tatsache geworden ist; sind doch schon wiewder 5 Wochen seit Absendung Ihrer Karte verstrichen.
Ich weiss nicht mehr genau, was ich Ihnen in meiner ersten Nachricht mitgeteilt hatte und bitte daher etwaige Wiederholungen zu verzeihen. Dass ich seinzeit am 2ten Pogromtage unter abteuerlichen Umständen durch die Intervention meines Neffen, der Direktor einer psychiatrischen Klinik in Zürich war, in die Schweiz gelangt bin und dann drei erholsame Monate, nicht als Patient, am Schauplatz des Zauberbergs verbracht habe, bis ich den Flug nach England nehmen konnte, wissen Sie vielleicht. Ich konnte immerhin meine Kleider und Wäsche aus München mitnehmen, aber keinen Pfennig Geld und, obwohl mir das Finanzamt kurz zuvor bestätigt hatte, dass ich alle Steuern einschließlich der Judenabgabe restlos bezahlt hatte, verweigerte mir dieselbe Behörde nach der Auswanderung jegliche Unbedenklichkeitsbescheinigung. Doch das und vieles andere (auch die völlig grundlose individuelle Vermögensbeschlagnahme) ist zu alltäglich gewesen, als das man viel Wesens davon machen könnte; ich habe auch nicht eine Postkarte darauf verschwendet, den Gründen dieser „rechtlichen“ Massnahmen nachzugehen. Den Winter 1939/40 verbrachte ich – in der Nähe meiner jetzigen Frau – im nördlich kühlen Newastle in Tyne und von dort korrespondierte ich noch mit manchen inzwischen nach Holland übersiedelten Freunden, darunter Magnus und Dr. Fürst-Heidelberg. Der erstere arbeitete damals in unentwegtem Idealismus an einem Rechtslexikon in 12 Sprachen, Fürst schrieb mir noch im Frühjahr 1940 eine begeisterte Karte über die Schönheit des Blumenlandes und sein behagliches Ruhestandsleben; als sie ankam, war Holland bereits von den Nazis besetzt. Später ist Fürst nach Polen verschleppt worden und seitdem verschwunden; seine Tochter und sein Schwiegersohn sind ebenfalls tot, seine Enkelkinder haben in jahrelangem Konzentrationslagerleben schweren Schaden genommen und leben jetzt in England. Magnus kam via Belsen nach Theresienstadt & ist dort, wie ich von Augenzeugen weiss, buchstäblich verhungert. Ich habe ihm auf Veranlassung Robert Helds in einem amerikanischen Blatt einen Nachruf geschrieben.
Held selbst hat lange bei jüdischen Organsiationen als Berater für Einwanderer gewirkt, dann aber angefangen in den Nachtstunden Jurisprudenz zu studieren. Er hat vor etwa zwei Jahren sein Anwaltsexamen gemacht und ist nun wohlbestalltes Mitglied der New Yorker Bar. Unser alter Freund Geh.Rat (Felix) Herzfelder hat seinen 80ten Geburtstag noch in Istambul gefeiert (wozu ich ihm mit Helds Hilfe zwar keine Festschrift, aber eine grosse Anzahl von Gratulationen aus aller Welt verschaffen konnte); dann musste er nochmals weiterwandern und ist kurz vor seinem 81ten Geburtstag in Haifa gestorben. In Palästina leben auch Alfred Werner und und Sigbert Feuchtwanger, ersterer als sehr erfolgreicher Anwalt, letzterer als Bankier; mit ihm korrespondiere ich ständig und er hat mich vor zwei Jahren sogar angeregt, wieder etwasa zu schreiben, woraus ein Buch geworden ist mit dem Titel „Rechtsanwälte und Anwaltsprobleme in der schönen Literatur“. Es liegt zur Zeit bei einem schweizer Verlag und harrt der Annahme oder Ablehnung. Jedenfalls hat diese Arbeit, zu der ich das juristische Material fast ganz aus dem Gedächtnis nehmen musste, dem Autor und seiner Frau viel Spass gemacht, auch wenn sie nicht in irgendeiner Sprache gedruckt werden sollte. Eine andere seltsame Erinnerung an die Vergangenheit ist mir zuteil geworden dadurch dass die Palästinenser Anwälte – Kollegen, die ich nicht einmal dem Namen nach kannte – mich ersucht haben für ihre Monatsschrift ein Gutachten über einige Standesfragen zu schreiben. Das habe ich getan; nachträglich erfuhr ich, dass das Magazin nur in hebräischer Sprache erscheint, in die anderssprachige Artikel übersetzt werden; so werde ich nicht den Vorzug haben, meinen eigenen Aufsatz je im Druck lesen zu können.
Mein BruderAdolf, den Sie wohl nicht persönlich, aber den Namen nach gut gekannt haben, sollte – fast 74jährig – nach Polen verschleppt werden; er ist dann freiwillig aus dem Leben geschieden. Dasselbe Schicksal hat Prof. Karl Neumeyer, der große Münchener Internationalrechtler, mit seiner Frau gehabt.
Dass es meinen Kindern in Amerika gut geht, dass mein Schwiegersohn als Nationalökonom grosses Ansehen geniesst und gute Bücher geschrieben hat, während mein jüngster (Gerhart Friedlander) als physikalischer Chemiker Karriere macht (er wird nächster Tage 30), mag ich Ihnen schon geschrieben haben. Auch die Enkel wachsen heran, ich meine die Halmschen Kinder, sie sind begabt und eifrig.
Wenn ich nicht Schluss mache, fällt mir sicher noch manches ein, aber das sammle ich besser fürs nächste Mal. Und nun hoffe ich bald auch von Ihnen ausführlicher zu hören, sobald es Ihre Zeit und ihre Gesundheit erlaubt.
Mit herzlichen Grüssen und Wünschen, auch von meiner Frau, bin ich Ihr Max Friedlander