Anlagen
- 1. Briefwechsel mit der Familie
- 2. Briefwechsel mit Verwandten
- 3. Briefwechsel mit Juristen
- 4. Briefwechsel mit Freunden und Mandanten
- 5. Ehrengerichtliches Verfahren/Versetzung in den Ruhestand
- 6. Gertrud Landsberg, Briefwechsel
- 7. Gertrud Landsberg, Fotos
- 8. Nachlass Martin Drucker, Manuskripte
- 9. Sonstiges
- Personenregister - Nachlass Martin Drucker
7. Oktober 1946
Liebe Mietze!
Vor einer Woche hatte ich die grosse Freude, einen Brief von Dir zu bekommen. Es ist schon recht lange her, seit wir uns nicht mehr geschrieben haben, und in den letzten Jahren ist die Verbindung nur durch den Briefwechsel zwischen Liesel und mir aufrecht erhalten worden, der nun auch auf schmerzliche Weise zu Ende gekommen ist. Wir alle haben in dieser letzten Zeit so viel Trauriges erlebt, dass es besser ist, gar nicht davon zu reden.
Ueber die Frage, in welcher Weise Ihr Liesels (Adelheid Krenzlin) Sachen retten und wieder erlangen könnt, habe ich vor kurzen Hans Helmut (Krenzlin) geschrieben. An der Tatsache, dass er Liesels Erbe geworden ist, lässt sich nichts mehr ändern. Da sie kein Testament hinterlassen hat, er also als Sohn ihr Erbe wurde, lässt sich deshalb nichts ändern, weil er nicht innehralb von sechs Wochen, nachdem er die Kenntnis von ihrem Ableben erhalten hatte, die Erbschaft ausgeschlagen hat. Hätte er das getan, so wäre sein Sohn an seine Stelle getreten, den man ruhig hätte Erbe werden lassen können. Man hätte aber auch für den Sohn die Erbschaft ausschlagen können und dann wärst Du mit Henny (Henriette Rocholl) und Gretes (Margarethe Leonhardi) Kindern Erbe Liesels geworden. Diese Gestaltung können wir also nicht mehr herstellen. Ich glaube aber auch nicht, dass Hans Helmut auf Schwierigkeiten stossen würde, wenn er sich als Erbe Liesels bemühte, deren Nachlass in die Hände zu bekommen. Ich habe ihm empfohlen, sich zunächst beim dortigen Gericht einen Erbschein austellen zu lassen und sich dann an einen Berliner Rechtsanwalt zu wenden, der ihm sicherlich bei der Erlangung des Nachlasses mit Rat und Tat zur Seite stehen wird.
Dein Patenkind Renate, dass Du infolge der seltsamen Verkettung der Umstände niemals persönlich kennengelernt hast, lebte ebenso wie ihre Schwester Ina, die nach Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft Aerztin an einem hiesigen Kinderkrankenhaus geworden ist, bei mir. Renate wurde begreiflicherweise hier in ihrem Studium gehindert, konnte dann aber in Strassburg ihr Studium zum Abschluss bringen und gerade noch beim Einmarsch der Franzosen die mündliche Doktorprüfung beenden. Sie ist nun hier als Universitätsassistentin angestellt und wird voraussichtlich in dem jetzt beginnenden Semester auch lesen; bisher waren Kollegien über Geschichte nicht gestattet. Nebenher ist Renate noch Sekretärin des Ausschusses der Rechtsanwälte und Notare und überdies als Jounalistin einer in Berlin erscheinenden Universitätszeitschrift verpflichtet. Sie hat mich vorhin gebeten, Dir ihre ganz besonders herzlichen Grüsse zu übermitteln.
Hans Sickert, der bereits bei einem der schweren Angriffe am 4. Dezember 1943 völlig ausgebombt war und seitdem sein Gartenhaus in Grossdeuben bewohnte, war im Herbst vorigen Jahres in ein sehr gutes hiesiges Altersheim übergesiedelt, wo er sich sehr wohl fühlte. Aber schon nach wenigen Wochen erkrankte er und starb Anfang Dezember vorigen Jahres kurz nach seinem 81. Geburtstag. Von Hannas Familie ist also niemand übrig geblieben.
Zufällig ist heute meine Schwester Betty Mannsfeld zu Besuch gekommen, die sich bei ihrem Schwiegersohn Dr. (Eduard) von Bose, der in Borna bei Leipzig Amtsgerichtsdirektor ist, aufhält. Auch sie lässt dich herzlich grüssen.
Das tue nicht minder ich als Dein alter Vetter (Drucker)