Anlagen
- 1. Briefwechsel mit der Familie
- 2. Briefwechsel mit Verwandten
- 3. Briefwechsel mit Juristen
- 4. Briefwechsel mit Freunden und Mandanten
- 5. Ehrengerichtliches Verfahren/Versetzung in den Ruhestand
- 6. Gertrud Landsberg, Briefwechsel
- 7. Gertrud Landsberg, Fotos
- 8. Nachlass Martin Drucker, Manuskripte
- 9. Sonstiges
- Personenregister - Nachlass Martin Drucker
Berlin, den 2.10.46
Lieber Herr Justizrat!
Zu Ihrem Geburtstag wünsche ich Ihnen vor allem, daß Sie wieder Ihre volle Gesundheit erlangen und es Ihnen, den Verhältnissen entsprechend, auch in der Praxis gut ergehen möge, und Sie Ihren Kindern und Enkeln noch recht lange erhalten bleiben.
Auf Ihren Brief vom 5. v. M., für den ich Ihnen herzlichst danke, möchte ich folgendes erwidern:
Daß Ihnen von drüben niemand schreibt kommt daher, daß man dortseits erwartet, daß man zuerst schreibt, da man nicht weiß, ob man noch an demselben Ort lebt, oder überhaupt noch am Leben ist. Es wäre wohl richtig, wenn Sie einmal schreiben würden, wie man es hier auch tut, dann sieht man ja, ob die Leute wollen, oder nicht. Auf (Alfred?) Kiefe kann ich mich gar nicht mehr entsinnen, wie er aussah. Will er wieder in Stuttgart etwas anfangen, oder hat er Schadensansprüche gestellt. Hier geht die Post hinüber und herüber. Wer Angehörige hat bekommt laufend Briefe und Pakete.
Nur meine Bekannte antworten nicht. Man weiß zwar nicht, ob sie die Post bekommen haben, aber ich denke schon, nur wollen sie nichts wissen. Manche Leute, die ich kenne, gehen auch schon zu ihren Angehörigen herüber. Wenn man nach dort eingeladen wird, und den Nachweis erbringt, daß man dem Staat nicht zur Last fällt, da kann man herüber, auch dann arbeiten.
An Ihrer Stelle würde ich an Dr. St(einmarder). schreiben, er wird schon antworten, wenn er noch lebt. Sie meinen, daß er für mich nichts tun würde und auch nichts tun könnte? Er ist doch sicher ein bekannter Anwalt, der große Beziehungen und Möglichkeiten hat. Schreiben Sie doch mal an ihn. Ich bedaure sehr, dass Dr. (Carl) Lichtenhahn nicht mehr lebt, der könnte einem helfen.
Was haben denn (Heinrich) Dittenberger, (Wilhelm) Kraemer geschrieben? Wo hat denn (Max) Friedländer, München und (Robert) Held die ganze Zeit über gelebt? Haben beide wieder Praxis? Leben sie wieder in München und Starnberg?
Hodenberg ist Oberlandesgerichtspräsident in Celle?
Wie ist die Adresse von RA (Ferdinand) Bartmann?
Frau Flächsner habe ich Bescheid gesagt, sie dankt für Ihre Bemühungen. Es wird ja auch in Zukunft nicht zu machen sein, solange die Verhältnisse sich nicht ändern, es geht doch immer weiter abwärts mit uns in jeder Beziehung, wir können ja gar nicht wieder hochkommen. Was wird jetzt aus der Währung in den alten Guthaben werden, das ist doch alles verloren. Wir sind doch alle bettelarm geworden und man nimmt uns das Letzte auch noch. Wenn man nur bald klar sehen würde, aber dieser Zustand und die schlechte Ernährung zermürbt ganz.
Ich habe vor, sobald ich meine Sachen hier wegbekomme, für immer nach Leipzig zu kommen, da mein Bruder nicht mehr allein sein möchte. Die Verhältnisse müssen ja, was man so hört, sehr schlecht sein, besonders die Ernährung muss noch schlimmer sein, als zuvor. Denken Sie, daß es für mich irgendwelche Arbeitsmöglichkeiten gibt? Oder bricht alles bald zusammen? Was soll nur noch werden? Kohlen soll es dort auch nicht geben. Es wird doch alles demontiert oder geht in russ. Staatseigentum über, wie ist das denn möglich?
Was wird aus uns noch werden? Schreiben Ihnen denn Ihre Brüder nicht und schicken etwas? Hoffentlich geht es Ihnen gesundheitlich besser, obwohl 10 Tage nach schwerer Krankheit nicht gar so sehr stärken können. Ihnen wäre ein langer und guter Erholungsurlaub nötig. Ja, wo sind wir hingekommen. Wir werden wohl kaum bessere Tage sehen. Haben Sie etwas gehört, daß Mietshäuser verstaatlicht werden sollen? Hierüber ist man wohl noch nicht ganz im Klaren.
Ich würde Ihnen dankbar sein, wenn Sie mir nach Erhalt des Briefes auf meine Fragen kurz antworten würden, und was Sie davon halten, daß ich jetzt für immer nach Leipzig kommen will. Halten Sie es für nötig, daß ich für die nächsten Monate wegen des Hauses hier sein müßte, falls etwas kommt? Oder denken Sie, daß es Herr (Hans) Schaefer ohne mich verwalten und alles regeln könnte im Falle eines evtl. Krieges? Auch im Falle einer Währungsänderung? Wurden nach der Inflation 1923 die Häuser, Hypotheken und Einheitswerte neu berechnet resp. festgesetzt und auch die Mieten?
Ich hätte also, wie gesagt, gern Ihren umgehenden Bescheid in den verschiedenen Fragen, da ich mich nach jemand umsehen möchte, der mir meine Sachen nach dort befördert. Sie wissen wohl keinen Spediteur, der Autotransporte zwischen Leipzig – Berlin ausführt und meine Sachen mitnehmen könnte, damit einem nicht noch das Letzte gestohlen wird.
Bitte, lieber Herr Justizrat, schreiben Sie mir bald, da ich gerne Ihr Urteil gehört hätte und Ihre Ratschläge.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Hildegard Rothe