Anlagen
- 1. Briefwechsel mit der Familie
- 2. Briefwechsel mit Verwandten
- 3. Briefwechsel mit Juristen
- 4. Briefwechsel mit Freunden und Mandanten
- 5. Ehrengerichtliches Verfahren/Versetzung in den Ruhestand
- 6. Gertrud Landsberg, Briefwechsel
- 7. Gertrud Landsberg, Fotos
- 8. Nachlass Martin Drucker, Manuskripte
- 9. Sonstiges
- Personenregister - Nachlass Martin Drucker
14.12.1946
Lieber Freund Friedlaender!
Noch immer schulde ich Ihnen eine Antwort auf Ihren Brief vom 17. Juli ds. Js., der Ende jenes Monats bei mir eintraf. Ich kann zu meiner Entschuldigung aber anführen, dass ich zu jener Zeit mit Arbeit für den Beruf, aber auch, wie Sie sich leicht vorstellen können, in dem Ehrenamt als Vizepräsident der Anwaltskammer und als Präsident des hiesigen Ausschusses bis an die äussersten Grenzen belastet gewesen bin und dass ich dann Ende Oktober ein Neuaufleben der, wie man glaubte, im Frühjahr überwundenen Rippenfellentzündung bemerkte, so dass ich nun schon seit Anfang November bettlägerig zu Hause bin und erst jetzt wieder beginnen kann, täglich ein paar Stunden ausserhalb des Bettes zu verbringen. Die Krankheit ist beseitigt, aber ich bin noch ziemlich matt und entkräftet und gegen diesen Zustand lässt sich ja bei den gegebenen Verhältnissen nur recht schwer ankämpfen.
Ihr Brief brachte mir Einzelheiten über Ihr Ergehen in den letzten Jahren, die Sie mir in Ihrer ersten Nachricht noch nicht mitgeteilt hatten. So Schweres und Unbilliges Sie auch haben durchmachen müssen, so ist es doch als ein grosses Glück anzusehen, dass Sie noch ins freie England gelangt sind, ehe die Verhältnisse bei uns ganz unerträglich wurden.
Von besonderem Wert waren mir auch Ihre Mitteilungen über viele unserer Freunde, über Magnus war ich schon unterrichtet, dagegen war mir neu, was Sie über Fürst und seine Familie wissen. Es ist ja ganz trostlos, was dieser ausgezeichnete Mann noch hat durchmachen müssen, ehe er, wie man ihm wünschen muss, das Leben enden konnte.
Mit Held habe ich noch gegen Ende der dreissiger Jahre korrespondiert. Er hatte sich damals bereit erklärt, die Eheschliessung eines hier lebenden Halbjuden mit der Tochter eines evangelischen Pfarrers in New York herbeizuführen, und alle erforderlichen Massnahmen einschliesslich des Erscheinens des Geistlichen bei der Ankunft des Schiffes ausgezeichnet vorbereitet. Der Kriegsausbruch hat aber der Durchführung dieser Massnahmen ein Ende bereitet. Dass er jetzt amerikanischer Anwalt ist, weiss ich. Ich habe nach New York verschiedene gute Beziehungen.
Von Herzfelder, Alfred Werner und Feuchtwanger wusste ich noch nichts.
Ganz grossartig ist, dass Sie es fertig gebracht haben, ein neues Buch zu schreiben. Wenn es in der Schweiz erscheint, bitte ich, mich zu benachrichtigen, damit ich es mir von dort beschaffen kann. Mich hindert Zeitmangel am Niederschreiben mancher Gedanken, die sich namentlich mit der Vergangenheit und der Zukunft der Anwaltschaft und ihrer Probleme befassen. Dabei empfinde ich allerdings ebenso wie Sie den Mangel des gesamten literarischen Materials. In welchem Masse die Bibliotheken in Deutschland und ebenso die Buchhandlungen zerstört worden sind, wird sich im Ausland kaum jemand vorstellen können. Es ist ein Glück, dass ich in der Bibliothek der Kollegen, deren Büro wir nach dem Zusammenbruch übernommen haben, die vorletzte Ausgabe Ihres Kommentars zur Rechtsanwaltsordnung vorfand. Als ich im vergangenen Jahre in der Dresdner Kammerversammlung ein großes Referat über Gegenwart und Zukunft der Anwaltschaft zu erstatten hatte, konnte ich aus Ihrem wundervollen Buch sehr wesentliche historische Angaben entnehmen. Es ist nur gut, dass dieses Buch nicht auch wie Ihre Arbeit für die Palästinenser Kollegen in hebräischer Sprache erschienen ist. War etwa unter den Palästinenser Kollegen Dr. (Alfred) Landsberg aus Wiesbaden oder mein früherer Sozius Dr. Cerf?
Das Schicksal und Ende Ihres Bruders und Mitautors Adolf ist erschütternd. Wie viele unersetzliche Menschen sind auf diesen Weg getrieben worden.
Im erfreulichen Gegensatz zu diesen trüben Erinnerungen steht, was Sie über Ihre Kinder und Enkel mitzuteilen haben. Daraus werden Sie Kraft für das weitere Leben schöpfen können.
Da ich nicht recht weiss, was ich Ihnen über unsere Freunde und Bekannten aus dem Anwaltverein mitgeteilt habe, will ich nochmals einiges erwähnen. Dittenberger ist Oberamtsrichter in Kitzingen, Kraemer Notar in Berchtesgaden, (Walther) Fischer Präsident der vereinigten westlichen Anwaltskammern, Hodenberg Oberlandesgerichtspräsident in Celle, Bartmann Mitglied der Berliner Anwaltskammer, Hahnemann übt weiter seine Praxis in Leipzig aus und ist Mitglied des Anwaltsauschusses. Er wurde am 1. November 70 Jahre alt. Tot sind Becker und Carl, auch Carstens ist schon vor ein paar Jahren in Holland gestorben. Weiteres fällt mir zur Zeit nicht ein.
Ich würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie sich durch mein schlechtes Beispiel nicht verleiten liessen, mich mit der Antwort so lange warten zu lassen wie ich Sie. Wir wollen wenigstens doch kurzgefasste Lebenszeichen in angemessenen Fristen austauschen.
Mit herzlichen Grüssen und mit besten Empfehlungen an Ihre Gattin verbleibe ich
Ihr (Drucker)