Dresden, 19.XII.45
Geburtstag unserer guten Mutter.

Mein lieber Martin!
Nun ist also auch Hans (Sickert) gestorben, was hat dieses Jahr für unsere Familie gebracht oder vielmehr was hat es uns entrissen. Sein letzter Brief an mich war eigentlich in guter, ganz zufriedener Stimmung geschrieben, auch als ich mit Renate von ihm sprach, hatte ich nicht den Eindruck, dass es ihm gesundheitlich nicht gut ginge, um so unvorbereiteter traf mich die Todesnachricht. Wie gut aber, dass er nicht lange hat leiden müssen und das er ruhig eingeschlafen ist, wohl ihm! Wird denn die Urne nach Bischofswerda in das Sickertsche Begräbnis, wo auch Hanna ruht, überführt werden? Das hatte er doch immer gewünscht. – Wie sehr gern, mein l. Martin, hätte ich über so vieles einmal mit Dir gesprochen, unser Wiedersehen nach allen den schrecklichen Erlebnissen war so kurz und Du verhiessest mir ein baldiges längeres Zusammensein, daraus ist leider bis jetzt nichts geworden. Sehr herzlich ist aber meine Freude über Inas Wiederkehr, wie muss das nur gewesen sein, als sie plötzlich bei Euch eintraf; wie froh bin ich, dass sie wohlbehalten zurückgekehrt ist. Ich hoffe sehr, dass ich sie bald selbst sehen kann nach der langen Trennung. Wir hörten schon durch Teddy (Eduard von Bose) von Euch, als er zu Ursels Geburtstag bei Euch war. Was sagst Du, dass wir nun wahrscheinlich bald nach Borna umsiedeln werden? Die Trennung von Dresden wird uns insofern nicht schwer, als es ja Dresden nicht mehr gibt; die meisten Bekannten sind in alle Winde zerstreut oder sind freiwillig oder unfreiwillig aus dem Leben geschieden.
Das Leben zwischen Ruinen ist ja auch so niederdrückend. Der Abschied von Bitters ist freilich nicht leicht, aber ich hoffe in der schönen Jahreszeit einmal für länger bei ihnen zu sein, so, wie die gute Oma früher zwischen Euch und uns teilte. Der gute Ede ist ja dienstlich derat in Anspruch genommen, dass ich ihn höchstens Sonntags kurz sehe; wohne ich bei ihnen, werde ich mehr von ihm u. der ganzen Familie haben. Wir sehen nun mit großer Spannung Teddys kommen am Sonnabend u. seinen Berichten über Borna entgegen; er hat jetzt wieder, wie er schrieb, sehr viel zu tun, ich freue mich für ihn, dass er eine ihn offenbar befriedigende Tätigkeit gefunden hat u. das Borna alles (?) in Schwung bringt. Wenn nur der Umzug sich gut bewerkstelligen lässt, wir haben zwar nur wenige Sachen, aber auch diese müssen doch irgendwie hinkommen. Ob das durch Eitner (Spedition Hans Eitner AG) möglich wäre? Für heute lebe wohl, l. Martin. Grüsse Deine Damen sehr herzlich u. sei Du gegrüsst von Deiner alten Schwester Betty.