dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Herrn
Rechtsanwalt Ferd. Bartmann
(1) Berlin-Charlottenburg 9
Hessenallee 3

Sehr geehrter Herr Kollege Bartmann!

Auf Ihren Brief vom 5. Dezember vorigen Jahres, der einige Wochen nach seiner Absendung einging, hätte ich Ihnen längst antworten sollen und auch geantwortet, wenn nicht ein Uebermass an Arbeitsbelastung und zuletzt eine zweiwöchige Erkrankung sich hindernd geltend gemacht hätten. Erlauben Sie mir nun heute, Ihnen einige Mitteilungen zu machen.
Wenn Ihr Kollege Pekrun gesagt hat, dass ich den Krieg gut überstanden habe, so hat er damit nur den Umstand meinen können, dass ich noch vorhanden bin und die Praxis wieder aufgenommen habe.  Der Krieg selbst hat mir schweres Leid gebracht. Ich habe meine beiden Söhne, den einen in Aegypten, den anderen bei den letzten Kämpfen in Schlesien dahingeben müssen. Büro und Wohnung sind mehrere Male das Opfer von Bomben und Phosphor geworden, so dass ich wie alle Akten und die Bibliotheken auch meine gesamte Habe eingebüsst habe. Ich musste auch noch im März vorigen Jahres Leipzig verlassen, einerseits weil ich obdachlos geworden war, zum anderen, weil die freundliche Absicht bestand, mich in eine Konzentrationslager übersiedeln zu lassen. In Jena, wohin ich mich gewendet habe, trafen allerdings nach etwa drei Wochen die Amerikaner ein und machten dem Spuk ein Ende. Ich wurde dann nach Leipzig zurückgeholt und zum Präsidenten des von den Amerikanern auf Grund einer freien Wahl eingesetzten Ausschusses der Rechtsanwälte und Notare gewählt und nahm die Praxis wieder auf, die sich vom ersten Tage an ausserordentlich stark entwickelte. Da ich bald darauf auch zum Vizepräsidenten des in Dresden gebildeten Vorstandes der sächsischen Anwalts- und Notarkammer gewählt wurde, nahm meine Arbeit einen kaum zu bewältigenden Umfang an. Ich bin im 77. Lebensjahre mit einer reichlich siebzigstündigen Arbeitswoche ausgestattet und gewinne die körperliche Kraft aus der Einstufung in die Angestelltenklasse bei der Lebensmittelzuteilung, weil ja bekanntlich Rechtsanwälte eine geringere Berücksichtigung als jeder Arbeiter und insbesondere jeder Richter und Staatsanwalt finden. Ueber diese Dinge muss man aber hinwegkommen.
Was den Wiederaufbau des DAV betrifft, so wird er wohl vorläufig und auch noch lange Zeit hinaus ein frommer Wunsch bleiben. Augenblicklich ist es weder zulässig noch möglich, mit Anwaltsorganisationen ausserhalb des Bundeslandes Sachsen oder gar ausserhalb der russischen Besatzungszone Fühlung zu nehmen. Das hängt mit der Auffassung zusammen, dass am 8. Mai 1945 das Ende nicht nur des Dritten, sondern jedes Deutschen Reiches eingetreten ist, so dass also eine Organisation, die sich als deutsche im Sinne eines Uebergreifens über die Zonengrenzen bezeichnen würde, nicht geduldet werden kann.
Dazu kommt aber weiterhin, dass offenbar in manchen Bezirken des ehemaligen Deutschlands auch die Neigung fehlt, sich zu einem die Zonengrenzen überspringenden Anwaltsverband zusammen zu schließen. Was ins Auge gefasst werden kann, ist daher allenfalls eine engere Fühlungnahme mit den Anwaltskreisen innerhalb der russischen Zone. In diesem Sinne hat mir kürzlich der Berliner Kollege Carl Horn einen sehr freundlichen Brief geschrieben, auf den ich in diesen Tagen antworten werde. Vielleicht ist es Ihnen möglich, mit ihm zu sprechen und so im mündlichen Meinungsaustausch der Lösung des Problems näher zu kommen.
Ueber die Juristische Wochenschrift sind Sie ja bereits durch Herrn (Paul) Goldstein unterrichtet. Augenblicklich handelt es sich um eine Auseiandersetzung mit den Kustodien für den Deutschen Rechtsverlag, der bekanntlich seinerzeit die J. W. usurpiert hatte. Hier halte ich die Möglichkeit einer Auseinandersetzung im Rechtsstreit für gegeben. Das Verlagsrecht und der Titel der Wochenschrift ist seiner Zeit dem Deutschen Anwaltverein rechtswidrig weggenommen worden.
Zu den Bemerkungen zu einzelnen Personen kann ich hinzufügen, dass auch (Armin) Hahnemann zu den von vornherein in den Ausschuss gewählten Kollegen gehört. Wir haben ihm wieder das Schatzmeisteramt übertragen, das er vorbildlich, wie früher, verwaltet, wiewohl natürlich die meinen Händen anvertraute Vermögensmasse nur aus bescheidenen Mitgliedsbeiträgen besteht.
Walter Fischer hat, wie ich kürzlich in der Zeitung las, ein hohes Verwaltungsamt übernommen.
Karl Geiler ist Ministerpräsident in Grosshessen geworden.
Am Schluss Ihres Briefes bitten Sie um Empfehlungen an meine Frau. Es ist Ihen also noch nicht bekannt geworden, dass ich sie bereits im Januar 1939 durch den Tod verloren habe. Ihr ist das namenlose Unglück des verbrecherischen Krieges erspart geblieben.
Mit der Bitte um freundliche Empfehlung an Ihre Frau Gemahlin bleibe ich mit herzlichen Grüssen
Ihr ergebener (Drucker)