9. März 1946

Herrn
Rechtsanwalt Dr. Kurt Runge
(20) Bad Harzburg
Herzog-Wilhelm-Str. 69

Sehr geehrter Herr Kollege Runge!

Für Ihr freundliches Schreiben vom 13. Februar des Jahres danke ich Ihnen aufrichtig. Es war mir eine sehr grosse Freude, nach so vielen Jahren wieder einmal unmittelbar von Ihnen zu hören, und zwar im Grossen und Ganzen doch recht Befriedigendes.
Bedauerlich ist freilich, dass der Gesundheitszustand Ihrer Frau Gemahlin die Rückkehr nach Berlin verbietet. Die von Ihnen erstrebte Zulassung beim Oberlandesgericht Braunschweig wird Ihnen doch vielleicht die Ausübung der Buchhandelspraxis bei weitem doch nicht in dem Masse ermöglichen, wie das von Berlin aus selbstverständlich sein würde.
Mit Dr. Eckstein bin ich nach wie vor associert. Diese Beziehung war nur äusserlich unterbrochen, als ich vom 1. April 1944 ab rechtswidrig in den Ruhestand versetzt worden war.
Unser Kollege Cerf ist allerdings bereits 1934 nach Palästina ausgewandert; seit einer Reihe von Jahren haben wir keine Nachricht mehr von ihm bekommen. Das wird sich ja hoffentlich bald ändern, wenn vom 1. April an der ausländische Postverkehr wieder zugelassen wird.
Ihre Frage nach dem Aufbau der Schlüsselgewerbe Leipzigs ist nicht mit wenig Worten zu erledigen. Ueber den Buchhandel werden Sie im allgemeinen unterrichtet sein. Der Verlag ist zum Teil abgewandert, zum Teil steht er in einer durch die Besatzungsmacht angeordneten Umbildung, deren Ausmass und Wirkung sich noch nicht übersehen lässt. Der Rauchwarenhandel macht eine schwere Krise durch, weil es an Material fehlt. Mehrere der grössten Firmen sind mit ihren Lagern nach Westen abgewandert. Die Metall- und Textilindustrie bemühen sich um den Wiederaufbau, insoweit liegen aber recht komplizierte Verhältnisse vor. Im Grunde genommen herrscht in Leipzig ein Aufbauwille, der wohl kaum stärker sein könnte, aber der Durchführung begegnen Schwierigkeiten aller Art.
Wie Leipzig aussieht – darüber fragen Sie lieber nicht.
Ich bleibe mit freundlichen Grüssen
Ihr ergebener (Drucker)