Plakate 2+2 Zwei Generationen
„Eine Huldigung an die Plakatkunst“
Laudatio zur Ausstellungseröffnung
Familie Fiedler Plakate & Grafik
Im Rathaus Markkleeberg am 15. Januar 2015, 19 Uhr
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
mit Freundschaften ist es nicht anders, als in einer Ehe: sie muss sich bewähren in guten wie in schlechten Tagen. Da ich öffentliches Reden weitestgehend zu vermeiden trachte, wartet heute eine besonders schwere Prüfung mich. Aber wozu hat man Freunde?
Wir haben viel gelernt, ganz besonders in den letzten 25 Jahren. Manches davon wollten wir nie wissen und haben deshalb auch nicht danach gefragt. Antworten bekamen wir trotzdem.
Wir erfuhren was ein Gourmet ist. Wir hatten bis dahin keine Ahnung und waren nun überzeugt, umsonst gelebt zu haben. Schließlich waren unsere Geschmacksnerven nur an Spreewaldgurken, Leckermäulchen und Nudossi geschult. Mit McDonald und Consorten wurde das natürlich sehr schnell anders. Viele von uns erkannten tatsächlich erst jetzt den Wert des Geschmacksinns.
Doch niemand hat uns jemals darauf vorbereitet, was unseren ebenenfalls nicht schmerzgeübten Augen zugemutet werden sollte. Was wurde aus unserem Sehsinn? Augen lassen sich nicht wenden. Zumindest nicht ohne ihre eigentlich Funktion zu verlieren.
Ich bin versucht, unseren geliebten Kleinen Prinzen zu korrigieren und auszurufen: Man sieht nur mit den Augen gut!
Aber die gute Nachricht ist:
Der Mensch besitzt eine enorme Fähigkeit:
Er lernt zu sehen, bis er stirbt. (Ken Kaska)
Insofern befinden Sie sich heute hier weniger in einer Ausstellung als in einer Schule des Sehens und wie ich meine: des Staunens.
Sie sehen hier Plakate einer Familie, ich möchte sagen einer Grafiker-Dynastie: Jochen Fiedler, Jutta Damm-Fiedler, sowie deren Kinder Grit und Falk Fiedler.
Soweit ich das zu überschauen vermag, ist es ziemlich einzigartig in einer Ausstellung ausschließlich Werke von Familienmitgliedern zu präsentieren. Die beiden Senioren der Familie haben bereits in zahlreichen Städten im In- und Ausland ihre Plakatkunst präsentiert. Kleine, feine Kataloge legen hiervon ein bleibendes Zeugnis ab. Aber auch die beiden Junioren können inzwischen auf ein umfangreiches und bemerkenswertes Schaffen verweisen. Der Kenner wird vieles vermissen, aber für jeden Freund der Plakatkunst gibt es seit geraumer Zeit einen von Jochen Fiedler etablierten Internetauftritt unter: www.plakat-sozial.de. Dort kann sich jedermann von der ernormen Vielfalt und Aussagekraft der Plakatkunst überzeugen.
Ich verstehe die Fiedlers als Gebrauchsgrafiker im wahrsten und ehrenvollsten Sinne dieses Wortes. Es geht um die Grafik für den Gebrauch, also für den Alltag und für einen bestimmten Sinn. Nach dem konkreten Sinn und Zweck ihres Tuns zu fragen ist aber für die meisten bildenden Künstler geradezu blasphemisch geworden, denn davon haben sie sich längst emanzipiert.
Indem sich der Gebrauchsgrafiker in den Dienst einer Sache stellt, gerät er in Widerspruch zu diesen Künstlerkollegen und führt eine Art Pariah-Dasein. Man könnte auch sagen: Der Gebrauchsgrafiker ist der Psychiater unter den bildenden Künstlern.
Von dieser verordneten Außenseiterstellung haben sich Fiedlers niemals beeindrucken lassen. Das können aber nur Menschen erdulden, die von der Richtigkeit ihres künstlerischen Weges im tiefsten innersten überzeugt sind.
Das gilt ganz besonders für die Zuneigung und den nunmehr Jahrzehnte währenden Kampf der Fiedlers für das künstlerische Plakat, welchem sogar internationale Anerkennung gezollt wurde. Aber der Künstler gilt nichts im eigenen Land oder hier korrekt: in der eigenen Stadt. Auf eine Plakatkunst-Ausstellung im Leipziger Museum der bildenden Künste werden wir wohl vergeblich warten.
Gedenkt eigentlich die Burg Giebichenstein, die gerade mit Pomp ihr 100jähriges Bestehen feiert, auch ihres dereinstigen Lehrers Jochen Fiedler? Das Familienoberhaupt führt einen Kampf im wahrsten Sinne des Wortes und hört auch nicht auf, wenn er seine Gesprächspartner nervt, gerade weil er Recht hat. Wer ihn nicht kennt: Sie müssen ihn sich als eine Art Gernot Hassknecht der Plakatkunst vorstellen, der verzweifelt ruft: „Brotagonist, Brotgonist! Oh Herr, wirf Hirn herunter!“ Was letzterer natürlich nicht tut, was keinen wirklich wundert, weil der Öberschte ja immer in höchster Not versagt.
Aber Jochen Fiedler treiben eben nicht nur die sinnentleerten Werbebotschaften einer Leipziger Bäckerkette um, sondern alles, was unseren Augen tagtäglich an schwer fass- und ertragbaren zugemutet wird.
Wenn man gerade wieder eine Schimpftirade über sich ergehen lassen musste, wird man durch ein Plakat versöhnt. Was Jochen Fiedler in der Rede nicht immer gelingt, dass erreicht er wie wenige in der Plakatkunst: ein Thema auf den Punkt zu bringen.
Es ist natürlich großartig, in einer Ausstellung der Plakatkunst zu huldigen. Wir sollten aber nicht vergessen, dass es deren ureigenste künstlerische Funktion ist Botschaften in pointierter Form unters Volk zu bringen. Das heißt: die Plakatkunst gehört auf die Straße, aber dort sind ja schon überall die unsäglichen Brotagonisten.
Nun werden sich manche von Ihnen vielleicht fragen, wie gedeihen unter einem so dominanten Patriarchen die anderen Fiedlers? Diese haben eine bemerkenswerte Überlebensstrategie entwickelt. Jutta Damm-Fiedler als der wohltuende Ruhepol, die ohne große Worte und ohne sich von Jochens Tiraden irre machen zu lassen, ihren eigenen künstlerischen Weg geht. Wenn ich auch für sie ein Bild finden soll, so ist es die stille Arbeiterin im Weinberge der Gebrauchsgrafik, die nie nach dem Lohn ihres unermüdlichen Tuns fragt.
Die Theater- und Opernplakate von Jutta Damm-Fiedler gehören zum wertvollsten, was wir auf diesem Gebiet besitzen. Ihre feinfühligen Plakate für Clara Schumann und Lene Voigt sind inzwischen zu Klassikern geworden.
Die Fiedlers zeigen für mich in ihrer Kunst beispielhaft, welche Gradwanderung es ist, bei der künstlerischen Gestaltung eines Themas genau das richtige Maß an Nähe und Abstand zu finden. Der leider viel zu wenig bekannte Dichter Eugen Roth hat in einem seiner Gedichte, welches mir gerade in diesen Tagen mehr oder weniger zufällig wieder einmal unter die Augen geriet, vor diesem Dilemma gewarnt:
Ein Mensch von innerlichster Richtung
Schreibt unentwegt an einer Dichtung.
Doch, was mit Herzblut er geschrieben,
Kann niemand loben oder lieben.
Ein andrer Mensch, der nicht so blutet,
Daß es die Dichtung überflutet,
Benutzt – welche widerwärtige Finte –
Zu dem Behufe einfach Tinte.
Und doch wird dem, was er gedichtet,
Von allen Seiten beigepflichtet.
Blut ist ein ganz besondrer Saft,
Doch hat auch Tinte ihre Kraft.
Dass auch die wohlgeratenen Fiedlerschen Sprösslinge diesen Balanceakt mit Bravour bestehen, werden Sie sicher an ihren hier gezeigten Arbeiten erkennen.
Für Grit Fiedler ist jedoch in diesem Zusammenhang unbedingt hervorzuheben, dass sie das große wie auch das kleinste graphische Format zu meistern im Stande ist. Grit Fiedler ist nämlich eine der ganz wenigen, die sich auf dem hart umkämpften und auch quantitativ nicht sehr ergiebigen Markt als Briefmarkengestalterin einen Namen gemacht hat. Obwohl ich selbst kein Briefmarkensammler bin, gibt es bei mir als Kleinod dieses Formats gerahmte Exemplare ihrer 55-Cent-Briefmarken „Altstadt Görlitz“ und „150 Jahre Enzviadukt Bietigheim“. Ich kann Ihnen nur soviel verraten, dass diese winzigen Marken in ihrer künstlerischen Gestaltung neben ihren großformatigen Plakaten durchaus nicht klein beigeben müssten.
Wer sich – wie die Fiedlers – als Gebrauchsgrafiker im Dienste einer Sache versteht, muss zuhören können. Eine menschliche Fähigkeit, die – allerdings nicht nur in Künstlerkreisen – geradezu am aussterben zu sein scheint.
Das Falk Fiedler, der seit Jahren mit wachsendem Erfolg in Berlin lebt, lehrt und arbeitet, das Zuhören wie nur wenige andere noch beherrscht, durfte ich gerade in den letzten Monaten sehr beglückend erfahren. Dass die Kommunikation zwischen uns hervorragend geklappt hat, belegt sehr eindrucksvoll das von ihm gestaltete Cover meines Buches, welches immer wieder ausdrücklich gelobt wird. Dieses Lob bezieht sich sowohl auf die ausgewogene Gestaltung, als auch auf die präzise Umsetzung des Themas. Auch bezüglich der Arbeiten von Falk Fiedler kann ich deshalb nicht genug betonen, dass die hier von ihm gezeigten Plakate nur ein Aspekt seines grafischen Schaffens sind. Wer sich dafür interessiert, kann sich auf der natürlich ebenfalls perfekt gestalteten Homepage seines Büros Visulabor hiervon überzeugen.
Letztendlich weckt diese Ausstellung den Wunsch mehr und auch anderes von dieser Leipziger Grafiker-Familie zu sehen. Möge dieser Wunsch in nicht allzu ferner Zukunft in Erfüllung gehen – zum Ruhme der Künstler und zu unserer Erbauung.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen anregenden Abend beim Anschauen und Wiederentdecken der Fiedlerschen Plakatkunst. Tanken Sie Energie für Ihre Augen, denn irgendwann werden wir alle wieder hinaus müssen in die böse Welt, wo an allen Ecken Brotagonisten und Ich bin doch nicht blöd-Plakate auf uns lauern. Oder um es lyrisch und etwas versöhnlicher mit Gottfried Keller zu sagen:
Trinkt, o Augen, was die Wimper hält
Vom goldenen Überfluß der Welt!
Vielen Dank!
Veröffentlicht in:
Jutta-Damm Fiedler, Jochen Fiedler
Beispiele aus 57 Jahren Gebrauchsgrafik
Ein dreiteiliges Buch mit ca. 300 Seiten, ca. 490 Abbildungen
60 signierte Exemplare im Schuber (48,00 Euro)