Markkleeberg-Ost
Unter den Linden 10
30. März 1946

Liebstes Justizrätlein!

Allem voran: wie sehr schmerzte es mich zu lesen, dass Sie wieder einmal einer hässlichen Grippe zum Opfer fielen und sich mit bangen Fieberstunden und Tagen abquälen mussten. Umso glückhafter berührten mich Ihre nachträglichen Glückwunschzeilen mit dem feinen und leisen Hinweis auf die „besonnte Vergangenheit.“ – Dafür seien Sie von Herzen bedankt und gleichermassen für den duftenden Begleiter: für das entzückende Impromptu von Lucien Lelong, Paris! Soll ich sagen leider oder Gottseidank habe ich noch immer eine helle Freude an diesen Luxus-Kostbarkeiten und werde mir dies in den nächsten zehn Jahren meines Lebens wohl auch kaum abgewöhnen, es sei denn ich wäre nicht mehr Ihre Bachweide und das würde ja in das Bereich der Unmöglichkeiten gehören.
Und noch etwas. Sie werden kaum geahnt haben, welchen Auftrieb mir Ihr so freundschaftliches Gedenken gegeben hat, denn es sieht eben recht traurig bei uns aus. Am 13. März rutschte meine Mutter in ihrem Schlafzimmer aus und fiel auf Hinterkopf und Rücken u. Becken. Die stark blutende Wunde am Hinterkopf verkrustete sich aber sehr bald, während eine Röntgen-Aufnahme in St. Jakob eine Verletzung des linken Beckenknochens erwies. Die Ärmste hat entsetzliche Schmerzen gehabt, die jetzt schon gemildert sind. Nun humpelt mein Muttchen kläglich und qualvoll umher, sie darf und soll nicht ständig liegen wegen der Gefahr einer evtl. Lungenentzündung. Und ich habe Beruf, Haushalt u. Pflege meiner Mutter, sodass mein Tag um 5 Uhr beginnt und 22.30 Uhr endet und dann schliessen sich diverse nächtliche Intermezzi an.
So war mir Ihr Gedenken ein Lichtblick in diesen Tagen – Tage, die so voller Vorfrühlingsduft sind, auf den sich mein Muttchen so gefreut hatte.
Grüssen Sie bitte alle Ihre lieben Familienmitglieder und bleiben Sie von nun an wieder gesund, liebes Justizrätlein, und seien Sie bedankt u. von Herzen gegrüsst, heute so wie immer, von Ihrer Bachweide.