dr. jur. Hubert Lang

Martin Drucker - Das Ideal eines Rechtsanwalts

Herrn Justizrat Dr. Pinner,
Streng vertraulich! Berlin W. 56, Markgrafenstr. 46.

Sehr geehrter Herr Kollege!
Im Besitz Ihres Briefes vom 13. ds. Mts. danke ich Ihnen und denjenigen Berliner Kollegen, für die Sie mir ge­schrieben haben, die in Ihrem Kreise für den Fall einer Neuorganisation des Deutschen Anwaltvereins hinsichtlich der Wahl des Vorsitzenden vertreten werden. Ihrem Wun­sche gemäss äussere ich dazu meine Meinung im folgenden: Zunächst darf ich hervorheben, dass auch ohne Verlegung des Sitzes keineswegs davon ausgegangen werden kann, dass ich mein Amt als Vorsitzender beibehalten bezw. eine Wiederwahl in den Vorstand annehmen würde. Die mit den innersten Organisationsangelegenheiten des Vereins vertrautesten Kollegen wissen, dass ich vor vier Jahren nur nach Überwindung ernster Bedenken mich gefügt habe. Den Ausschlag gab schliesslich die Einhelligkeit, mit der die Stimmzettel der Vertreterversammlung meinen er­neuten Eintritt in den Vorstand gewünscht hatten. Der Rückblick auf die letzten Jahre erleichtert mir wahrlich nicht den Entschluss, noch weiterhin die Rücksicht auf meine Sozien und meine Familie so weit wie bisher hint­anzusetzen. Es widerstrebt mir, darüber mich näher aus­zulassen. Weil aber Sie selbst, geehrter Herr Kollege, des mangelnden Einverständnisses derjenigen Berliner Kollegen, deren Ansicht Sie vertreten, mit meinem Ver­halten gedenken, so werden Sie es mir nicht verübeln, wenn ich ganz unverhohlen zum Ausdruck bringe, dass die immer wieder bemerkbar werdende Missdeutung meiner Auf­fassung und Massnahmen seitens eines Teils der Berliner Kollegen zu den trübsten Erfahrungen meiner Amtszeit gehört. Es beruhigt mich nicht die Einsicht, dass jener Berliner Meinung zum Teil eine begreifliche, leider von mir nicht zu beseitigende Unkenntnis meiner Motive zu­grunde liegt, zum Teil mangelnder Überblick über die Stellung und Stimmung der Anwaltschaft ausserhalb Ber­lins. Ich habe bisher auf meinem Posten aushalten können in der Gewissheit, dass die mehrfachen Beanstandungen meines Verhaltens gegenüber dem Berliner Anwaltverein seitens des Gesamtvorstandes nicht für berechtigt gehal­ten wurden. Aber von diesem Teile meiner Bedenken gegen die Annahme einer Wiederwahl ganz abgesehen, möchte ich, obwohl es selbstverständlich ist, auch nicht unerwähnt lassen, dass meine Entschliessung, wenn ich vor eine solche gestellt werde, sehr erheblich auch von dem Inhalte der neuen Satzungen und von der Zusammensetzung des Vorstandes abhängig sein würde, gleichviel, wo sich der Sitz des Vereins befindet. Wesentlich einfacher gestaltet sich die Frage bei Verlegung des Sitzes nach Berlin. Ihre Ansicht darüber, sehr geehrter Herr Kollege, ist mir von jeher bekannt. Ich unternehme nicht den Versuch, Sie zur gegenteiligen zu bekehren. Aber ich bitte mit gleicher Entschiedenheit Ihrer Auffassung die meinige entgegengesetzten zu dürfen. Der Deutsche Anwaltverein braucht seinen Sitz nicht in Leipzig zu haben. Sicher ist mir aber, dass er in Berlin nicht residieren kann und darf. Meine Überzeugung wurzelt wahrlich nicht in „gefühlsmässigen Bedenken“. Solchen pflege ich minde­stens bei Prüfung praktisch bedeutsamer Fragen nicht anheimzufallen. Wesen und Bestehen des Deutschen An­waltvereins scheint mir mit dem Sitze in Berlin unver­einbar. Auch in dieser Meinungsverschiedenheit glaube ich also dem nüchtern erwogenen Interesse der Gesamtan­waltschaft zu dienen. Damit ist Ihre Frage, ob bei Ver­legung des Vereinssitzes nach Berlin ich eine Wahl zum Vorsitzenden annehmen würde, beantwortet. Weil es doch aber nicht auf die Person ankommt, sondern auf die Ver­einssache, glaube ich jetzt noch zum Ausdruck bringen zu sollen, dass der Gedanke, der Vorsitzende könne an einem anderen Ort als dem Sitze des Vereins wohnen, schlechthin zu verwerfen ist. Nach Habers Rücktritt nötigten persönliche Umstände dazu, die Leitung des Vereins in die Hände Heiligers zu legen, der in Köln wohnte. Obwohl ihm als langjährigen Vorsitzenden des Deutschen Anwaltvereins reiche Erfahrungen zur Seite stand, obwohl er sich allgemeinen Vertrauens erfreute, obwohl die Geschäfte schon jahrelang von Dittenberger geleitet wurden und ich, bereits seit 1909 dem Vor­stande angehörig, hier als Stellvertreter fungierte, erwies sich sehr bald die Undurchführbarkeit einer sol­chen Anordnung. Der Vorsitzende, der nicht in ständiger unmittelbarer Berührung mit dem Geschäftsleiter arbei­tet, sondern im Wesentlichen nur als Leiter von Sitzun­gen und Versammlungen in Erscheinung tritt, kann nie­mals Führer sein und wird von der Kollegschaft nie als Führer angesehen werden.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Dieser Brief ist im Nachlaß Martin Druc­kers als handschriftlicher Entwurf enthalten.