dr. jur. Hubert Lang

Martin Drucker - Das Ideal eines Rechtsanwalts

Ausfertigung.
Im Namen des deutschen Volkes !

U r t e i l

In dem ehrengerichtlichen Verfahren
gegen
den Rechtsanwalt
Justizrat Dr. Martin  D r u c k e r,  Leipzig
wegen

Verfehlung gegen die §§ 28, 62 der Rechtsanwaltsordnung hat das Ehrengericht der Sächsischen Anwaltskammer in der Sitzung
vom 26. J a n u a  r 1935, an der teilgenom­men haben die Rechtsanwälte:

Dr.  L e u p o l t,  Dresden
Vorsitzender,
Dr.  H.  F r i t z s c h e,  Leipzig,
Dr.  T a m m e n h a i n,  Leipzig,
Hoyer, Dresden,
G l a u n i n g,  Plauen,
als Richter,
Erster Staatsanwalt Dr.   F i s c h e r
als Vertreter der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht,
Rechtsanwalt   J u n g, als Protokollführer,

für Recht erkannt:

Der Angeklagte Rechtsanwalt
Justizrat Dr. Martin   D r u c k e r,   Leipzig,
wird wegen Verfehlung gegen die §§ 28,62 der Rechtsan­waltsordnung mit Strafe der Ausschliessung von der Rechtsanwaltschaft belegt und ist die baren Auslagen des Verfahrens zu erstatten schuldig.

Zuzustellen:
Herrn Rechtsanwalt
Justizrat Dr. Martin Drucker,
Leipzig,
Ritterstr. 1/3.

G r ü n d e:

Angeklagt ist der am 6. Oktober 1869 in Leipzig gebo­rene, daselbst wohnhafte und zur Rechtsanwaltschaft am 17. Juni 1898 zugelassene

Rechtsanwalt Justizrat Dr. Martin   D r u c k e r.

Der Angeklagte, der nicht-arischer Abstammung ist, ist viele Jahre lang Präsident des Deutschen Anwaltvereins und dann bis zur nationalsozialistischen Revolution des­sen Ehrenpräsident gewesen.
Ehrengerichtlich ist er noch nicht bestraft.
Auf Grund des Ergebnisses der Hauptverhandlung, insbe­sondere der Aussage des Zeugen Dr. Goldstein[1] und der ei­genen Erklärung des Angeklagten, ist folgender Sachver­halt vom Ehrengericht festgestellt worden:
Mit dem Brief vom 12. September 1930 wandte sich der Zeuge Dr. Goldstein an den Angeklagten, um von ihm, als dem in Standesfragen als besonders bewandert erachteten Berufsgenossen, Auskunft darüber zu erhalten, wie er sich als Verteidiger eines gewissen Becker, eines wegen Spionage zu Gunsten Frankreichs angeklagten deutschen Reichsangehörigen zu verhalten habe. Becker sei von deutschen Kriminalbeamten durch List und Gewalt von französischem auf saarländisches Gebiet verbracht worden, von da auf deutsches Gebiet, und sei dort verhaftet und dem Ober­reichsanwalt in Leipzig zugeführt worden. Becker ver­lange von ihm, Dr. Goldstein, eine Eingabe an die fran­zösische Regierung, damit diese in Berlin seine Auslie­ferung, richtige Rückführung nach Frankreich und Aufhebung der Haft verlange. Seinem Schreiben vom 12. September 1930 an den Angeklagten hatte Dr. Goldstein Abschrift seines Schreibens vom 11. September 1930 an die damalige vom Völkerbund eingesetzte Saar-Regie­rung beigefügt, damit der Angeklagte über den Sachver­halt genügend orientiert sei: In diesem Schreiben vom 11. September 1930 stellte Dr. Goldstein die Verhaftung seines Mandanten Becker als völkerrechtswidrig, insbesondere als Verlet­zung der Hoheitsrechte der Saar-Regierung, hin und ver­langte entsprechendes Einschreiten der Saar-Regierung, die sich deshalb auch an die deutsche Regierung – jedoch erfolglos – gewandt hat.
Das Schreiben Dr. Goldsteins an den Angeklagten vom 12. September 1930 beginnt damit, dass er sich in einer An­gelegenheit an den Angeklagten wende, die ihn, Dr. Gold­stein, in eine gewisse Kollision zwischen seinem natio­nalen Empfinden und seiner Pflicht als Verteidiger bringe. Dr. Goldstein wollte also von dem Angeklagten Rat und Auskunft darüber, ob er als deutscher Rechtsan­walt sich unmittelbar an die französische Regierung wen­den dürfte, um eine Rücklieferung des deutschen Spions nach Frankreich durch diese Macht fordern und durchset­zen zu lassen.
Am 4. Oktober 1930 fand zwischen dem Angeklagten und Dr. Goldstein eine ausführliche Rücksprache statt, in der dieser nochmals den Sachverhalt und die von ihm angeschnittene Kernfrage darlegte, ob es nämlich mit der Standessitte und den nationalen Pflichten des deutschen Anwaltes vereinbar sein, wenn dieser sich in einer Spio­nagesache an den von der Spionagehandlung begünstigten fremden Staat mit der Bitte um Veranlassung der Rücklie­ferung des Spions wende.
Ausweislich der Aktennotiz des Rechtsanwalts Dr. Gold­stein vom 4. Oktober 1930 in seinen Handakten hat der Angeklagte seine Meinung dahin dargelegt, dass er die Ansicht Dr. Goldsteins teile, wonach er auf Verlangen Beckers an das französische Justiz-Ministerium wegen der Auslieferung heranzutreten habe, wenn er dies als Ver­teidiger zur Wahrnehmung der Interessen seines Mandanten für erforderlich halte.
Dr. Goldstein hat als Zeuge ausdrücklich erklärt, dass er seine spätere Eingabe an das französische Justizmini­sterium bestimmt unterlassen hätte, wenn ihm der Ange­klagte davon abgeraten hätte. Auf Veranlassung der Reichsanwaltschaft ist bereits – 1930 – gegen Dr. Goldstein wegen seines Verhaltens, in dem eine Verletzung seiner Standespflichten als deutscher Rechtsanwalt gesehen wurde, ein ehrengerichtliches Ver­fahren eingeleitet worden. In erster Instanz ist Dr. Goldstein vom Ehrengericht der Sächsischen Anwaltskammer freigesprochen worden, auf die Berufung der Staatsan­waltschaft hin hat der Ehrengerichtshof Rechtsanwalt Dr. Goldstein mit der Strafe der Warnung belegt. Gegen Dr. Drucker ist damals ein ehrengerichtliches Verfahren nicht eingeleitet worden. In dem jetzt nach der nationalsozialistischen Revolution gegen ihn eingeleiteten ehrengerichtlichen Verfahren verteidigt er sich in fol­genden Richtungen:

1.) Die Verhaftung Beckers sei rechtswidrig gewesen, weil sie gegen die Regeln des Völkerrechts, insbesondere des allgemein anerkannten Asylrechts, erfolgt sei, die damals nach der Weimarer Reichsverfassung Bestandteil der deutschen Rechtsordnung gewesen seien. Ein Verteidi­ger habe die Pflicht, alle Mittel anzuwenden, um vorge­kommene Rechtsverletzungen wieder gutzumachen. Nach Meinung des Ehrengerichts kommt es auf die Frage nicht an, ob die Verhaftung Beckers, der übrigens später mit wohl 8 Jahren Zuchthaus bestraft worden und im Zuchthaus verstorben ist, völkerrechtswidrig erfolgt war. Dr. Goldstein hatte zweifellos als Verteidiger Bec­kers das Recht und die Pflicht, die Völkerrechtswidrig­keit der Verhaftung seines Mandanten vor dem Reichsge­richt geltend zu machen. Er hatte auch das Recht, sich an die Reichsregierung, Auswärtiges Amt, zu wenden, dem die Führung der deutschen Außenpolitik und damit die Wahrung des Völkerrechts obliegt. Schimpflich handelt aber jeder Deutsche, und damit besonders schimpflich je­der deutsche Rechtsanwalt, der Schutz und Hilfe einer gegenwärtigen Macht gegen angebliche Rechtswidrigkeit des eigenen Staates anruft.
Besonders schimpflich, wenn es geschieht zu Gunsten ei­nes Landesverräters, dem durch die Tüchtigkeit und Selbstaufopferung deutscher und deutschfühlender saarländischer Polizeibeamter endlich das Handwerk ge­legt und dessen verdiente Bestrafung dadurch endlich er­möglicht war. Ziel und Zweck des durch den Rat des Angeklagten veran­lassten Schrittes Dr. Goldsteins bei der französischen Regierung konnte nur sein, den deutschen Spion zu Gun­sten Frankreichs seiner verdienten Strafe für sein schimpfliches Handwerk zu entziehen. Damit musste er gleichzeitig in die Lage gesetzt werden – und es war mit grösster Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass es auch geschehen würde – seine für das Deutsche Reich und Volk ausserordentlich gefährliche Tätigkeit weiterhin fortzusetzen. Wenn der Angeklagte sich in der Hauptver­handlung dagegen verwahrt hat, dass der Schritt Dr. Goldsteins geeignet war, Repressalien Frankreichs gegen Deutschland hervorzurufen, weil bei der klaren völker­rechtlichen Lage die deutsche Regierung einem Ersuchen der französischen Regierung und Rücklieferung Beckers gar nicht hätte entgegentreten können, so zeigt diese vom Angeklagten nach seiner Behauptung damals ange­stellte Erwägung nur um so deutlicher, dass der darge­legte Zweck des Schrittes Dr. Goldsteins ihm bekannt und in seinen Willen aufgenommen war. Dass nicht der dazu nächstliegende Weg bestritten wurde, die deutsche Regie­rung, unter Hinweis auf die angeblich klare völkerrecht­liche Lage und die verfassungsgemässe Einordnung des Völkerrechts in die deutsche Rechtsord­nung, zur Befreiung und Rücklieferung Beckers zu veran­lassen, beweist, dass der Angeklagte entweder damals an die Klarheit der Völkerrechtslage, die er heute in den Vordergrund schiebt, nicht geglaubt und gehofft hat, bei der französischen Regierung eine Becker günstigere, da­mit aber den deutschen Interessen nachteilige Auslegung zu finden und durch diese gegen den Willen der deutschen Regierung zur Durchsetzung zu bringen. Oder der Ange­klagte hat angenommen, wiederum entgegen seiner jetzigen Behauptung, dass die deutsche Regierung, noch nicht in genügendem Masse liberalistisch-pazifistisch verseucht, selbst bei klarer Völkerrechtslage zu Gunsten Beckers die schwerwiegenden Interessen des deutschen Volkes dem „Rechte“ Beckers pflichtgemäss voranstellen und dessen Befreiung und Rücklieferung verweigern würde. Ein deut­scher Rechtsanwalt kann durch keinerlei Verteidiger­pflichten gezwungen sein, auf schimpflichste Weise, die jeder deutschempfindende Volksgenosse verabscheuen muss, zu Gunsten eines Spions und Landesverräters, über die mit Recht die deutsche Regierung jetzt wieder die Todes­strafe verhängt und vollstreckt, der deutschen Regierung bei der Wahrung der deutschen Volksinteressen durch An­gehen einer feindlichen Regierung in den Rücken zu fal­len. Da kann von einem Konflikt der Pflichten keine Rede sein. Die Interessen des Volkes, und für einen nichtari­schen Rechtsanwalt die Interessen des Wirtsvolkes, gehen ohne weiteres vor.

2.) Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung längere Ausführungen darüber gemacht, dass ein Verteidiger die moralische Seite der Handlungen des von ihm verteidigten Mandanten nicht zu prüfen habe, dass er nicht befugt sei, in moralischer Hinsicht über die Handlungsweise des Auftraggebers ein Werturteil zu fällen, der Verteidiger habe sich vielmehr nur streng an Recht und Gesetz, und dazu gehöre auch das Völkerrecht, zu halten und in deren Rahmen alle Mittel zu ergreifen, die im In­teresse seines Mandanten lägen. Der Anwalt sei aus­schliesslich Diener des Rechts und damit auch des Völkerrechts.
Dass diese Auffassung unseren nationalsozialistischen An­schauungen widerspricht, bedarf keiner Ausführung. Vor allem Recht steht das deutsche Volk, denn dieses hat ja alles Recht geschaffen, nur das kann Recht sein, was dem Volke dient und nützt. Der Verteidiger eines Landesver­räters hat besonders die Pflicht, darauf zu achten, dass die „Rechte“ dieses Schädlings am Volke nicht zu Schaden des Volkes ausschlagen und damit zum höchsten Unrecht werden. Selbst wenn man dem Angeklagten als Nichtarier und in der damaligen Zeit zubilligen will, dass er sich aus seiner liberalistischen Denkweise heraus dieser Fol­gerungen nicht bewusst geworden ist und sie auch nicht gefühlsmässig erfasst hat, so bleibt doch immer als be­sonders schimpflich an dem Schritte Dr. Goldsteins übrig, dass zugunsten eines Landesverräters eine fremde Macht gegen die eigene Regierung mobilisiert werden sollte. Man braucht sich nur vorzustellen, mit welchem Gefühl des Ekels ein nationalgesinnter Franzose im fran­zösischen Justizministerium die Eingabe Dr. Goldsteins, eines deutschen Rechtsanwalts, gelesen haben wird, um zu ermessen, wie schimpflich die beiden Anwälte gehandelt haben. Es ist bezeichnend, dass die französische Regie­rung auf die Eingabe nichts veranlasst, ja Dr. Goldstein nicht einmal einer Antwort gewürdigt hat. Mindestens das gleiche Gefühl des Ekels muss aber jeder deutschempfindende Volksgenosse empfinden, der von der Handlungsweise der beiden Anwälte Kenntnis erlangt. Der Angeklagte hat auch nicht etwa nur leichtfertig gehan­delt. Dr. Goldsein hat ihm ja ausdrücklich seine Beden­ken aus seinem nationalen Empfinden vorgetragen, wobei nicht verschwiegen werden kann, dass es dem Ehrengericht unverständlich ist, dass ein Arier wie Dr. Goldstein sich bei Bedenken aus nationalem Empfinden heraus Rat ausgerechnet bei drei Nichtariern holt. Dass Dr. Alsberg und Dr. Werthauer zu der Eingabe an das französische Ju­stizministerium nicht geraten haben, zeigt deutlich, dass auch Nichtarier gefühlsmässig das Schimpfliche die­ser Handlungsweise erkennen konnten.

3.) Zu seiner Verteidigung hat der Angeklagte weiterhin ausgeführt, dass seine Tat den zur ehrengerichtlichen Strafverfolgung berufenen Behörden, Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht und Ehrengericht der Anwaltskam­mer, schon seit dem Jahre 1930, und zwar durch das Ver­fahren gegen Dr. Goldstein, bekannt gewesen sei. Dass bis zur Einleitung des jetzigen Verfahrens gegen ihn nichts unternommen worden sei, zeige deutlich, dass da­mals die zur Wahrung der ehrengerichtlichen Rechtspre­chung berufenen Organe in seiner Handlungsweise nichts Standeswidriges gefunden hatten. Dieses Vorbringen ist zunächst tatsächlich unrichtig. Das Ehrengericht der sächsischen Anwaltskammer hat Dr. Goldstein aus subjek­tiven Gründen freigesprochen, der Ehrengerichtshof hat ihn verurteilt. Die Staatsanwaltschaft beim Oberlandes­gericht hat, nach ihrer damaligen Praxis ein seltener Fall, Berufung gegen das freisprechende erstinstanzliche Urteil eingelegt. Die Reichsanwaltschaft, die kraft Am­tes die Gefährdung der deutschen Volksinteressen durch Landesverräter wie Becker besonders übersehen konnte, hat die Einleitung des ehrengerichtlichen Verfahrens ge­gen Dr. Goldstein veranlasst; sie kannte die Beteiligung Dr. Druckers nicht.
Es muss aber auch einmal offen ausgesprochen werden, dass die geradezu unglaublichen Urteile gegen Dr. Gold­stein sich nur erklären lassen aus einer uns heute unverständlichen Auffassung von den Pflichten des deut­schen Anwalts gegenüber seinem Volke, aus einer völligen Verkennung des Wesens des Rechts und der Aufgaben des Rechtsanwalts und aus einem liberalistisch-pazifisti­schen Objektivitätsfimmel, der kaum zu überbieten ist. Das Ehrengericht will offen erklären, dass es auch Dr. Goldstein – wenn diesem gegenüber nicht die Strafklage verbraucht wäre – mit der Strafe des Ausschlusses aus der Anwaltschaft belegt hätte, das schon um deswillen, weil er durch seine Eingabe an die Saar-Regierung zwei deutschfühlende saarländische Polizeibeamte um Brot und Stellung und ins Gefängnis gebracht hat, weil sie sich für die deutschen Interessen aufopfernd eingesetzt ha­ben. Dr. Goldstein brauchte den Rat „angesehener“, nicht-arischer Anwälte nicht. Er musste sich bei einiger Überlegung selbst sagen, dass seine Handlungsweise mit dem Ziel, den Spion Becker mit Hilfe Frankreichs der Strafverfolgung der deutschen Behörden zu entziehen und ihm die Möglichkeit weiterer Spionagehandlungen zu eröffnen, unter allen Umständen schimpflich und eines deutschen Anwalts unwürdig war. Haben in der vergangenen Zeit Ehrengerichte nicht erkannt, was die obersten Pflichten eines deutschen Anwaltes sind, so kann das heute nicht zu Gunsten des Angeklagten Dr. Drucker ins Gewicht fallen. Die Mitglieder des Ehrengerichts gegen Dr. Goldstein l. Instanz sind sämtlich nicht mehr in ih­rem Amte. Sie sind in ihrer Denkungsweise und durch die nationalsozialistische Revolution mit Recht beseitigt worden. Dr. Goldstein ist viel zu niedrig be­straft worden, geradezu unglaublich niedrig. Nichts kann das heutige Ehrengericht hindern, gegen Dr. Drucker die richtige und angemessene Strafe zu finden, eine Rechtsan­sicht, der sich auch das Schwurgericht Berlin in dem zweiten Horst-Wessel-Prozess angeschlossen hat, und mit ihm das Reichsgericht als Revisionsgericht dieses Prozes­ses. Wenn die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Dresden seit Kenntnis der Beteiligung Dr. Druckers bis zur nationalsozialistischen Revolution nichts gegen die­sen unternommen hat, so nur deshalb, weil sie sich so lange bei der Zusammensetzung der Ehrengerichte und des Ehrengerichtshofes keinen Erfolg von einer Anklageerhe­bung versprach und nach dem geradezu kläglichen Ergebnis der Verhandlungen gegen Dr. Goldstein auch nicht verspre­chen konnte.

4.) Der Angeklagte hat durch seinen Verteidiger in der Hauptverhandlung davor gewarnt, den Zeitgeist, die gei­stige Einstellung der deutschen Anwaltschaft zur Zeit der Tat zu übersehen. Das Ehrengericht hat sich dem Wunsche des Verteidigers entsprechend ernstlich bemüht, sich in die damalige Zeit mit ihren Anschauungen und geistigen Strömungen zurückzuversetzen. Hier lag, wie das Ehrenge­richt ohne weiteres erkannte, die einzige Möglichkeit, zu einer milderen Auffassung über die Tat des Angeklagten zu gelangen. Auch diese Erwägungen mussten jedoch erfolglos bleiben aus folgenden Gründen:
Landesverrat ist zu allen Zeiten und bei allen Völkern als das ehrloseste und schimpflichste Delikt empfunden worden, das es gibt. Wenn in Deutschland Liberalismus, Internationalismus, Marxismus und nationaler Tiefstand zeitweise bei einem Teil der Volksgenossen, niemals bei allen, das Gefühl für die Schimpflichkeit des Landesver­rats geschwächt haben, so hat diese üble Krankheitser­scheinung doch niemals im deutschen Volke, insbesondere nicht in der deutschen Anwaltschaft, dazu geführt, in dem Landesverräter deutscher Staatsangehörigkeit, besonders wenn er um schnöden Mammon gehandelt hatte, wie Becker, nicht den Lumpen zu sehen, der er nach der Meinung aller Anständigen, gleich welcher Nationalität, immer ist und sein wird. Zur Zeit der Tat des Angeklagten – Oktober 1930 – begann überdies bereits in breiten und gerade den besten deutschen Volkskreisen die Auffassung über natio­nales Pflichtgefühl sich zu bessern. Die nationale Oppo­sition, besonders die N.S.D.A.P., von deren Reden die ge­samte Presse erfüllt war, geisselte scharf jeden Landes­verrat, selbst aus sog. ideellen, liberalistischen, in­ternationalistischen Beweggründen. Ihre Propaganda hatte immer grössere Erfolge. Das deutsche Volk begann zu erwa­chen, wurde wieder nationalgesinnt. Der Ausfall der Reichstagswahl vom 14. September 1930 – 107 Sitze der Na­tionalsozialisten – kurz vor der zur Anklage stehenden Tat, musste jeden, auch den in politischen Dingen beson­ders erfahrenen Angeklagten auf das erwachende National­gefühl seines Wirtsvolkes hinweisen. Der Angeklagte musste sich sagen, dass sich eine wesentliche Änderung der weltanschaulichen Auffassungen und Grundlagen des deutschen Volkes vorbereite und musste darauf auch bei seiner Ratserteilung Rücksicht nehmen. Der Angeklagte musste als deutscher Anwalt berücksichtigen, dass schon damals viele, und gerade die besten Deutschen, die von ihm Dr. Goldstein angeratene Handlungsweise als schimpf­lich und damit eines deutschen Anwalts unwürdig ansehen mussten. Unberührt von jedem Zeitgeist musste aber für den Angeklagten die Erwägung sein, dass es für einen deutschen Anwalt schimpflich sein muss, die Regierung, ausgerechnet Frankreichs, gegen
den Willen der deutschen Regierung zu mobilisieren, um einen Spion der verdiente Strafe zu entziehen und seinem schimpflichen Handwerk zurückzuge­ben, zum Schaden des deutschen Volkes und in einem künftigen Kriege zur Gefährdung und Vernichtung tapferer deutscher Soldaten, wenn nicht der nationalen Existenz des deutschen Volkes.

5.) Die Verteidigung des Angeklagten hat schliesslich noch darauf hinweisen zu dürfen geglaubt, dass durch eine Verurteilung des Angeklagten, insbesondere mit der Strafe der Ausschliessung, die ganze deutsche Anwalt­schaft getroffen würde; denn der Angeklagte sei Jahre lang Präsident und Ehrenpräsident der deutschen Anwalt­schaft gewesen, ungefähr 15 000 deutsche Anwälte hätten ihn auf den Schild erhoben. Dieser Behauptung muss ent­schieden entgegengetreten werden. Selbst in den schlimm­sten Zeiten geistiger Verwirrung hätte die deutsche An­waltschaft niemals den Gehilfen eines Landesverräters zu ihrem Führer erkoren. Gerade weil der Angeklagte in der damaligen Zeit Führer der deutschen Anwaltschaft war, musste er besonders auf das Ansehen der deutschen An­waltschaft im besten Teile des deutschen Volkes bedacht sein, besonders war er verpflichtet, nicht nur den unter Anklage stehenden Rat zu unterlassen, sondern die lan­desverräterische Eingabe Dr. Goldsteins zu verhindern. Gerade weil seine Meinung in weiten Kreisen der deut­schen Anwälte für massgeblich erachtet wurde, vom Zeugen Dr. Goldstein ja auch als massgebend erachtet worden ist, hatte er die besondere Pflicht, als Führer der deutschen Anwaltschaft – und er führte ja schliesslich deutsche Rechtsanwälte und nicht nur Anwälte schlechthin – die Interessen des Reiches und des Volkes den Interes­sen eines Landesverräters voranzustellen, auch dann, wenn das seiner allgemeinen politischen Anschauung und seiner Einstellung als Jude nicht entsprach. Die führende Stellung des Angeklagten muss daher aus­schliesslich zu seinen Ungunsten berücksichtigt werden: Er war nicht ein beliebiger Anwalt, sondern er war der Präsident des Deutschen Anwaltvereins mit dadurch be­dingten besonderen Pflichten gegenüber Volk und Recht.
Im übrigen ist rein tatsächlich die Behauptung des Ver­teidigers des Angeklagten, 15 000 deutschen Rechtsanwälte hätten ihn zu ihrem Führer erkoren, unrichtig. Dem Eh­rengericht ist es aus der Standespolitik genügend be­kannt, wie in der verflossenen Zeit vor der nationalso­zialistischen Machtergreifung hervorgehobene Stellungen gerade innerhalb der deutschen Anwaltschaft besetzt wur­den. Die deutschen Anwälte liessen sich bedauerlicher­weise meist von den nichtarischen oder solchen ähnlicher Gesinnung führen. Nationalgesinnte Anwälte hielten sich infolge der allgemeinen politischen Lage von der Stan­despolitik fern. Nationalgefühl war als Politik ver­schrien, die der Standesarbeit ferngehalten werden müsse, liberalistische, sozialdemokratische, ja kommuni­stische Ideen waren unpolitische Menschheitsideen, für die zu kämpfen Aufgabe des freien deutschen Anwalts sei. Viele deutsche Anwälte beteiligten sich deshalb, aus Ekel und Gleichgültigkeit an derartiger Standespolitik, gar nicht an den ständischen Wahlen, ein Teil wählte auch Juden und Marxisten zu seinen Führern, in der Hoffnung, dass die Anwaltschaft aus deren Beziehungen zu den re­gierenden Stellen Vorteile für ihre Standesinteressen ziehen könnte. So konnte sich ein kleiner Kreis, wie ge­sagt, meist nichtarischer Anwälte die Führung der deut­schen Anwaltschaft anmassen. Aus der Gesinnung der dama­ligen Anwaltsführer auf die Gesinnung der deutschen An­waltschaft zu schliessen ist daher verfehlt.
Das Ehrengericht hat sich die Frage vorgelegt, ob das Judentum des Angeklagten strafmildernd in Betracht gezogen werden und ihm die Strafe der Aus­schliessung ersparen könnte, die nach alledem nur in den Kreis der Erwägungen gezogen werden konnte. Auch das war jedoch abzulehnen. Der jüdische Anwalt, der in Deutschland noch heute mit allem gesetzlichen Schutz seinem Berufe nachgehen kann, der trotz der grundsätzlichen Einstellung des national­sozialistischen Reiches aus allgemeinen Billigkeitsgrün­den deutscher Anwalt bleiben konnte, muss die Gewähr dafür bieten, dass er die nationalen Interessen des deutschen Volkes achten und sich bemühen wird, in die Gedanken des nationalsozialistischen Rechts einzudringen und zumindest ihrer Durchsetzung sich nicht entgegenzu­stellen. Diese Gewähr bietet der Angeklagte nach Meinung des Ehrengerichts nicht. Er musste bei seiner Ratsertei­lung mit der Möglichkeit von Repressalien seitens der französischen Regierung gegenüber dem damals völlig wehrlosen Deutschland rechnen. Es war ihm eine derartige Handlungsweise Frankreichs aus der Zeit nach 1918, wie er in der Hauptverhandlung selbst zugegeben hat, be­kannt. Diese Möglichkeit, die sogar eine gewisse Wahr­scheinlichkeit nach dem bisherigen Verhalten Frankreichs für sich hatte, musste mindestens den Angeklagten veran­lassen, Dr. Goldstein vor seinem Vorgehen zu warnen und ihn davon abzuhalten. Das Ehrengericht kann die Nicht­achtung dieser Gefahr und die völlige Umgehung des Auswärtigen Amtes, um sich über den Umfang dieser Gefahr zu unterrichten, die bei Dr. Goldstein vielleicht dessen Leichtfertigkeit und mangelnder Überlegung und politi­schen Erfahrung zur Last zu legen sind, dem Angeklagten bei seiner Intelligenz, Erfahrung und seinem politischen Gefühl nur als Böswilligkeit anrechnen. Sein Verhalten kann schlechterdings nur als Feindseligkeit gegenüber dem deutschen Volke begriffen werden, als Teil der Zer­setzungsarbeit seiner Rasse am deutschen Volkskörper von 1918 – 1932. Hätten sonst Dr. Arlsberg und Dr. Wert­hauer, die gewiss an liberalistischer, internationaler und antinationaler Rechtsauffassung dem Angeklagten nicht nachstanden, anders gehandelt wie er? In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte seiner Meinung dahin Ausdruck gegeben, dass er auch heute noch sein Verhal­ten, seinen damaligen Rat für richtig halte, und dass er auch heute noch vorkommendenfalls den gleichen Rat er­teilen würde, weil für ihn heute noch die Anschauungen über Recht und Aufgaben der Verteidigung massgeblich seien, die oben eingehend widerlegt worden sind. Diese Einstellung war für die Staatsanwaltschaft bestimmend, Antrag auf Ausschluss des Angeklagten aus der Anwalt­schaft zu stellen. Das Ehrengericht hat keine Bedenken getragen, diesem Antrag zu entsprechen. Ein Anwalt, der nach einer schimpflichen Handlungsweise, wie sie unter Anklage steht und strafrechtlich Beihilfe oder Begünsti­gung zum Landesverrat mindestens nahesteht, eine solche Einstellung zeigt, kann nach Meinung des Ehrengerichts unmöglich länger deutscher Anwalt sein. Er ist ein Schandfleck der deutschen Anwaltschaft, der rücksichts­los beseitigt werden muss.

Die Entscheidung betreffend die Auslagen des Verfahrens folgt aus §§ 66,94 RAO. in Verbindung mit § 465 StrPO.

Dr. Leupolt  Dr. Tammenhaim  Dr. Fritzsche  Hoyer Glauning

Ausgefertigt, Dresden, den 11. April 1935

Der Schriftführer des Vorstandes der Sächs. Anwaltskam­mer

Hoyer.

[1] Goldstein änderte nach 1933 seinen Namen in Holstein, vermutlich um dem Verdacht zu entgehen, jüdischer Abstammung zu sein. Nach 1945 war er wieder als Rechtsanwalt und Notar in Taucha zugelassen.