dr. jur. Hubert Lang

Anwaltsgeschichte

Ohne Beispiel: Der Leipziger Rechtsanwalt Dr. Johannes F.

Mitglied des NS-Rechtswahrerbundes Nr. 95

Im Zusammenhang mit der Arbeit am Thema „Juristen jüdischer Herkunft in Leipzig“ stellte sich auch immer wieder die Frage, wie sich nicht der Verfolgung ausgesetzte Rechtsanwälte verhalten haben. Aus den bisherigen Erkenntnissen aus unterschiedlichsten Quellen lassen sich keine zuverlässigen verallgemeinerbaren Schlußfolgerungen ziehen.
Ein kompetenter Zeitgenosse hat sich jedoch nach 1945 zu dieser Frage für die sächsische Anwaltschaft geäußert. Als Martin Drucker vor seinen Berufskollegen nach dem totalen Zusammenbruch des Naziregimes einen richtungsweisenden Vortrag zum Thema „Der Anwalt in der neuen Zeit“ hielt, sah er sich veranlaßt, auch zu dieser Problematik Stellung zu nehmen. Nach dem glücklicherweise im Nachlaß erhalten gebliebenen Manuskript sagte Martin Drucker:
„… ab Ende Mai 1945 waren in Leipzig wieder mehr als 100 Rechtsanwälte tätig, die sich niemals unter das Joch des Nazismus gebeugt hatten. Ich bitte es nicht als Lokalpatriotismus zu beanstanden, wenn ich sage, daß diese 100 Leipziger den Kern der antifaschistischen sächsischen Anwaltschaft gebildet haben.“ [1]
Diese Einschätzung, kann jedoch andererseits nicht darüber hinweg täuschen, daß es auch in der Leipziger Anwaltschaft alle Facetten – vom aktiven Widerstand über mehr oder weniger aktive Mitläuferschaft bis zu den wahrhaften Anwälten des Unrechts – gab.
Neben den beiden Leipziger Kreisgruppenwaltern des NSRB, Tammenhain und Fritzsch, sowie den fanatischen Anwälten Schnauß und Zuberbier, war Dr. Johannes Fritzsche ein Sonderfall der im letzteren Sinne besonders hervorgetretenen Leipziger Anwälte.
Seine außergewöhnliche Karriere unter dem Hakenkreuz und sein tragisches Ende sind Gegenstand meiner Ausführungen.
Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner in Leipzig wurden am 12. April 1945 in einem Bombentrichter in Lindenthal 52 Gestapohäftlinge exekutiert. Die Ermordeten waren fast ausschließlich Ausländer aus Osteuropa, jedoch auch deutsche Gegner des Nationalsozialismus wie Margarethe Bothe und Alfred Kästner.
Da auch Johannes Fritzsche zu den unter chaotischen Umständen [2] umgebrachten Opfern gehörte, hält sich bis heute die Legende, daß dieser ein aktiver Widerstandskämpfer und Humanist gewesen sei, welcher „wegen der Verteidigung von Juden und Antifaschisten“ verhaftet worden sein soll.“ [3]
Im nachfolgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob sich diese Bewertung nach den überlieferten Aktenbeständen aufrecht erhalten läßt oder eine Neubewertung insbesondere unter Berücksichtigung des am Ort des Geschehens errichteten Mahnmals erforderlich ist.
Auf welche archivalischen Quellen konnten die Untersuchungen gestützt werden? Überliefert ist im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig zunächst insbesondere die umfangreiche Personalakte im Bestand des Landgerichts Leipzig[4] und eine Akte des Amtsgerichts Leipzig über eine Privatklage wegen Beleidigung des Fritzsche gegen den jüdischen Rechtsanwalt Alfred Jacoby aus dem Jahr 1931[5].
Daneben gibt es einige sekundäre Quellen, die Rückschlüsse zulassen.
Naturgemäß kann die Quellenlage nicht als sehr ergiebig bezeichnet werden. Die Bewertung der Persönlichkeit Fritzsches muß deshalb letztendlich lückenhaft bleiben. Trotzdem ist m.E. – und ich hoffe, Sie werden mir am Schluß zustimmen können – eine klare Antwort auf die eingangs gestellte Frage möglich.

Zunächst zu einigen biographischen Angaben, die sich aus der Personalakte ergeben:
Johannes Fritzsche wurde am 24.03.1902 als Sohn des Oberstudienrates Prof. Dr. phil. William Fritzsche in Coschütz bei Dresden geboren. Da die Familie wenig später nach Leipzig verzog, wuchs er hier auf und ging auch in Leipzig zur Schule. Zur Kindheit und Jugend sowie zum Milieu des Elternhauses enthält die Personalakte natürlich keine Informationen, welche für eine Bewertung der späteren Entwicklung aufschlußreich sein könnten. Es kann jedoch aus der beruflichen Stellung des Vaters geschlußfolgert werden, daß Fritzsche in sozial gesicherten und behüteten Verhältnissen aufwuchs.
Am 17. März 1927 heiratete er die Tochter eines Leipziger Rechtsanwalts und Notars. Aus dieser Ehe ging 1933 – wenige Tage vor der Machtergreifung Hitlers – eine Tochter hervor. Die Ehe wurde im Januar 1944 „aus beiderseitigem Verschulden“ geschieden. Das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter wurde durch Ehevertrag dem Vater übertragen.

Zur beruflichen Entwicklung

Johannes Fritzsche studierte in Leipzig und Würzburg zwischen 1920 und 1923 Rechtswissenschaft und Cameralia. An der Leipziger Juristenfakultät promovierte er am 10. Juli 1925 zum Thema „Die nachrevolutionären Forderungen der sozialistischen und kommunistischen Parteien Deutschlands zur Neuordnung des Strafvollzuges“. Obwohl die Personalakten des Juridicums durch Bombenangriffe vollständig vernichtet wurden, war das Thema der Dissertation nach Auffassung der damaligen Direktorin des Uniarchivs im Jahr 1985 Beweis für Fritzsches links orientierte politische Gesinnung.[6]
Die im Bestand der Leipziger Universitätsbibliothek erhaltene handschriftliche Dissertation läßt jedoch tatsächlich keinerlei Rückschlüsse auf eine linksorientierte politische Einstellung Fritzsches zu diesem Zeitpunkt zu.
Das in der Personalakte des Landgerichts enthaltene Paßfoto, welches Fritzsche mit mehreren deutlichen Mensuren zeigt, hätte ebenfalls eine gegenteilige Vermutung nahegelegt.
Wie eine Überprüfung der entsprechenden Akten im Leipziger Universitätsarchiv ergab, war Fritzsche tatsächlich über drei Semester, nämlich vom Sommer 1920 bis zum Sommer 1921 Mitglied der ältesten schlagenden Verbindung, der Burschenschaft „Arminia zu Leipzig“, gewesen.
Nachdem Johannes Fritzsche seine erste Staatsprüfung im Juli 1923 und die zweite im Oktober 1926 jeweils mit „genügend“ bestanden hatte, erhielt er 1926 die Zulassung zur Anwaltschaft am Amts- und Landgericht Leipzig.
Seine Anwaltstätigkeit begann er im Büro seines Schwiegervaters, des Rechtsanwalts und Notars Ernst Kotte im Dittrichring 4. Die Kanzlei führte Fritzsche auch nach dem Tod Kottes an gleicher Stelle bis zu seiner Verhaftung im März 1945 fort.
Bereits im Juni 1930 trat der Leipziger Anwalt dem „Bund nationalsozialistischer deutscher Juristen“ (BNSDJ), bei, welcher auf dem Leipziger Juristentag 1936 in „Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund“ (NSRB) umbenannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der BNSDJ sowohl zahlenmäßig wie auch im rechtspolitischen Einfluß noch absolut unbedeutend. Fritzsches Mitgliedsnummer war: 95.
Ausweislich der Personalakte nahm Fritzsche an einer mehrwöchigen Studienfahrt der Reichsleitung des BNSDJ im Herbst 1935 nach Nordamerika teil.
Als eines der ältesten Mitglieder und auf Grund seiner Verdienste im Reichsgruppenrat der Rechtsanwälte wurde er später mit dem goldenen Abzeichen des NSRB ausgezeichnet.

 

Zum politische Engagement Fritzsches

Politisch engagierte sich der Leipziger Rechtsanwalt zunächst zwischen 1927 und 1929 in der rechts orientierten bürgerlich-konservativen Deutschnationalen Volkspartei.
Bereits am 01.05.1930 wurde Dr. Johannes Fritzsche Mitglied der NSDAP. Seine Mitgliedsnummer war 256759.
Nur einen Monat später wurde er auch SA-Obersturmführer. Aus der SA wurde Fritzsche im Jahr 1936 auf eigenen Antrag entlassen.
Im Reichsrechtsamt der NSDAP unter Führung des berüchtigten Hans Frank hatte Fritzsche bis 1937 ehrenhalber das Amt eines Hauptstellenleiters inne. Aus dieser Position schied er „mit der Berechtigung zum Tragen der Uniform“ aus.
Mit dem Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK) gehörte Fritzsche einer weiteren Gliederung der NSDAP bis zu deren Auflösung an.
Am 30.01.1937 erhielt Dr. Fritzsche ein persönliches Dankschreiben des Führers für die geleisteten Dienste in den Reihen der NSDAP.

Die Auseinandersetzungen mit dem jüdischen Rechtsanwalt Alfred Jacoby

Im weiteren der chronologischen Entwicklung folgend, ist nun über Ereignisse zu sprechen, welche sich in der oben bereits erwähnten Akte zur Privatklage Fritzsche gegen Jacoby [7]widerspiegeln.
Ihren Ausgangspunkt hatten die Auseinandersetzungen zwischen diesen Leipziger Anwälten in den Plädoyers der beiden in einem Strafprozeß im Januar 1931 vor dem Leipziger Amtsgericht.
Gegenstand dieses Strafverfahrens war eine der zu dieser Zeit häufigen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen linken und nationalsozialistischen Gruppen.
Fritzsche vertrat die nationalsozialistischen Angeklagten Brettschneider und Förster, Rechtsanwalt Jacoby den Angeklagten Redakteur Brandl, welcher zum Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold gehörte. Der Reichsbanner war der von Hörsing und Höltermann 1924 gegründete politische Kampfverband der Linken. Auch Rechtsanwalt Jacoby selbst gehörte dem Reichsbanner an. Er war Kriegsfreiwilliger gewesen und 1. Vorsitzender des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten, Ortsgruppe Leipzig.
Fritzsche stellte in seinem Plädoyer die Behauptung auf, daß Hörsing in einer Rede in Bremen zur Ermordung von 7 Millionen deutscher Volksgenossen aufgerufen habe.
Zum weiteren Ablauf des Gerichtstermins, insbesondere zum Inhalt seines nachfolgenden Plädoyers, schreibt Rechtsanwalt Jacoby in seiner Erwiderung auf die Privatklage am 14. August 1931:
„Ich führte u.a. aus, daß Dr. Brandl die nationalsozialistischen Angeklagten in keiner Weise provoziert habe, daß es vielmehr die Nationalsozialisten waren, die durch ihr Verhalten die politisch anders denkenden provozierten, und insbesondere gegen Staatsbürger jüdischen Glaubens sich in der übelsten und herausforderndsten Weise benähmen. Der Rechtsanwalt Fritzsche habe die ungeheuerliche Behauptung aufgestellt, daß Oberpräsident a.D. Hörsing zur Ermordung von 7 Millionen deutscher Volksgenossen aufgefordert habe. Ich müsse, da vor der Öffentlichkeit des Gerichtssaals eine solche Behauptung aufgestellt worden wäre, sie ebenso in aller Öffentlichkeit richtigstellen. Ich bezeichnete sie als eine „infame Lüge“ und bat, diese Äußerung zu protokollieren, damit auch Herr Rechtsanwalt Fritzsche Gelegenheit nehmen könne, dies zu erfahren.“
Die daraufhin am 09. März 1931 erstattete Strafanzeige führte schließlich zu der Privatklage. In diesem Verfahren mußte sogar am 28. Oktober 1931 Hörsing in Magdeburg selbst vernommen werden.
Einem Einstellungsbeschluß gemäß § 7 der Verordnung des Reichspräsidenten vom 06.10.1931 wegen geringer Schuld und den unbedeutenden Folgen der Tat, widersprach Fritzsche mit Erfolg.
Schließlich kam es am 21. Dezember 1931 zu einem gerichtlichen Vergleich, in dessen Ergebnis Rechtsanwalt Jacoby sämtliche gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten und Auslagen übernehmen mußte.
Eine gesonderte Anzeige Fritzsches gegen Dr. Jacoby in gleicher Sache bei der Sächsischen Anwaltskammer hatte im übrigen zu keinem Ergebnis geführt.
Am 20. Juli 1938 entschied das Reichsjustizministerium, daß diese Akte geschichtlich wertvoll und daher nicht zu vernichten sei.

Die Angriffe gegen Senatspräsident Alfons David im März 1933

Zum Zeitpunkt der Machtübernahme war gegen Rechtsanwalt Fritzsche beim Ehrengerichtshof der Rechtsanwälte am Reichsgericht ein Verfahren – wie er selbst später schreibt – „wegen politischer Delikte gegen das damalige System“ – anhängig.
Diese Tatsache war offensichtlich wesentliche persönliche Motivation seines ungeheuerlichen Vorgehens gegen den jüdischen Senatspräsidenten am Reichsgericht, Dr. Alfons David, denn dieser stand auch der Kammer des Ehrengerichtshofes vor, an welcher das Verfahren gegen Fritzsche anhängig war.
Bereits am 17. März 1933 hatte in Leipzig eine Tagung der nationalsozialistischen Juristen stattgefunden, auf welcher die in der Tagespresse veröffentlichten Forderungen zum Ausschluß sämtlicher jüdischer und politisch links stehender Juristen aus der Rechtspflege erhoben worden waren.
Die Umsetzung dieser Forderungen wurde durch zwei NSDAP-Rechtsanwälte – Fritzsche und der ebenfalls einschlägig berüchtigte Schnauß – bereits am darauf folgenden Tag in Leipziger Gerichten und Justizbehörden mit Nachdruck eingefordert.
Über die Vertreibung des Senatspräsidenten am Reichsgericht Dr. Alfons David aus seinem Amt sind aufschlußreiche Aufzeichnungen erhalten geblieben.
Am 19. März 1933 informierte der Reichsgerichtspräsident, Dr. Bumke, den Staatssekretär Schlegelberger wie folgt:
„Am 18. des Monats sind bei Herrn Dr. David die Leipziger Rechtsanwälte Schnauß und Fritzsche (NSDAP) erschienen und haben ihn befragt, ob er sich über die Niederlegung des Vorsitzes im Ehrengerichtshof bereits schlüssig gemacht habe. An den Chefpräsidenten verwiesen, haben sie dort die Anfrage wiederholt mit dem Bemerken, daß sie von dem Leiter der Rechtsabteilung der Zentrale in München, Rechtsanwalt Frank II mit dieser Nachfrage beauftragt seien. Sie haben die Antwort erhalten, es könne ihnen nichts gesagt werden, der Chefpräsident stehe in Verbindung mit dem Reichsjustizministerium, die Termine vor beiden Senaten des Ehrengerichtshofes seien aufgehoben. Mit dieser Terminsaufhebung haben sich die beiden Anwälte sehr befriedigt erklärt, sie haben die gleiche Zufriedenheit mit der günstigen Erledigung der Aktion am Leipziger Landgericht geäußert.“[8]
Die Vorgehensweise dieser beiden Rechtsanwälte stieß sogar bei Staatssekretär Schlegelberger auf Empörung. Seine erhalten gebliebenen handschriftlichen Notizen zu den Vorgängen verdeutlichen das.
Schlegelberger hat nach seiner Niederschrift den Nationalsozialisten auseinandergesetzt:
„was auf dem Wege des Gesetzes erfolge, müsse man abwarten, solche Einmischungen unberufener wie in dem Leipziger Amts- und Landgericht und im Falle David könne er jedoch unter keinen Umständen hinnehmen, eine Aktion beim Reichsgericht dürfte nicht erfolgen. Alles widerspreche auch dem klaren Befehl des Herrn Reichsleiters vom 12. des Monats.“[9]
Der Senatspräsident beim Reichsgericht, Dr. Alfons David, hat kurz darauf „im Hinblick auf die politische und völkische Neuordnung“ [10]um seine Versetzung in den Ruhestand nachgesucht.[11] Nach der Machtergreifung Hitlers erfolgte am 6. April 1933 die zwangsweise Auflösung des Vorstandes der Sächsischen Rechtsanwaltskammer durch den Reichskommissar von Killinger. Dieser ernannte gleichzeitig den neuen Vorstand, dem zunächst u.a. aus Leipzig Tammenhain und Schnauß angehörten. Wenig später wurde auch Fritzsche in den Vorstand berufen. Auf sein Wirken in diesem Gremium, insbesondere im Ehrengericht, wird noch zurückzukommen sein.
Nach der Entlassung zahlreicher jüdischer Notare auf der Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde Dr. Fritzsche am 14. Oktober 1933, gemeinsam mit Oskar Tammenhain, Gangold Schnauß und anderen, zum Notar bestellt. Die Ernennung dieser Anwälte erfolgte ausdrücklich „wegen ihrer Verdienste für die nationale Erhebung“ und „ohne Rücksicht auf die sonst vorgeschriebene Wartezeit“. Sie sollte eine „Anerkennung für die mutige, opferwillige und selbstlose Betätigung in dem Ringen gegen den Marxismus“ sein.[12]
Ebenfalls 1933 wurde er als einer der wenigen Rechtsanwälte zum Gründungsmitglied in die Akademie für Deutsches Recht berufen. Diese Akademie war auf dem ersten nationalsozialistischen Juristentag in diesem Jahr in Leipzig ‚feierlich proklamiert‘ worden.
Im April 1934 ging beim Landgerichtspräsidenten eine Beschwerde der deutschen Hypothekenbank Weimar wegen der notariellen Tätigkeit Fritzsches ein. Der damalige LG-Präsident von Miaskowski übersandte die gesamte Beschwerdeakte an den „verehrten Kollegen und PG.“ Fritzsche „streng vertraulich“ und „mit den ergebensten Grüßen“. Die Sache konnte niedergeschlagen werden.

Angriffe gegen Justizrat Dr. Martin Drucker

Im Juli 1934 glaubte Fritzsche seine Position so gefestigt, daß er nunmehr auch mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen einen seiner persönlichen Erzfeinde vorgehen konnte.
Er erstattete am 9. Juli 1934 gegen den früheren Präsidenten des DAV, Dr. Martin Drucker, eine diffamierende Anzeige mit der Forderung, den namhaftesten Leipziger Rechtsanwalt aus der Anwaltschaft auszuschließen.
Das zwischenzeitlich im vollen Wortlaut veröffentlichte [13] Urteil des Sächsischen Ehrengerichts vom 26. Januar 1935 sprach dann tatsächlich den Ausschluß Martin Druckers aus der Anwaltschaft aus. Dieses Urteil, welches noch heute als Schandmal in der Geschichte der Sächsischen Anwaltschaft betrachtet werden muß, wurde im Berufungsverfahren hinsichtlich des Ausschlusses aus der Anwaltschaft aufgehoben.
Welche besonders üble Rolle Fritzsche in diesem Verfahren gegen Martin Drucker spielte, ergibt sich im einzelnen insbesondere aus der erhalten gebliebenen Berufungsbegründung des Hamburger Rechtsanwalts Darboven[14] und den ebenfalls überlieferten persönlichen Erinnerungen Max Friedländers über diese Ereignisse.[15]
Obwohl Fritzsche selbst die Anzeige erstattet hatte, saß er als Beisitzer im Ehrengericht. Das sofort hiergegen eingereichte Ablehnungsgesuch wurde abgewiesen.
Als Martin Drucker und sein mutiger Verteidiger beim Betreten des Gerichtssaales feststellten, daß der persönliche Erzfeind zu den beisitzenden Richtern gehörte, sagte Darboven mit Bezug auf Dantes „Göttliche Komödie“: „Laßt jede Hoffnung hinter Euch, ihr, die ihr eintretet!“
Fritzsche hatte Martin Drucker bezichtigt einen landesverräterischen Rat erteilt zu haben. Der frühere Präsident des DAV sei persönlich dafür verantwortlich, daß „das Ansehen des Standes herabgewirtschaftet und bei den Volksgenossen in Mißachtung gekommen sei“.
Gegenüber Druckers Sozius Eckstein und dem Vizepräsidenten der Handelskammer Enke hatte Fritzsche nach deren Zeugenaussagen gedroht, er wolle Drucker in das KZ Colditz schaffen lassen.
Für den unsäglichen Nazi-Jargon der Urteilsbegründung, auf welchen hier nicht näher eingegangen werden kann, zeichnet Fritzsche als Verfasser hauptverantwortlich. Sie kann folglich als Spiegelbild seines Denkens und Handelns angesehen werden.
1938 heißt es in einer Einschätzung des Leipziger Landgerichtspräsidenten Lorenz in der Personalakte:
Es kann unbedenklich angenommen werden, daß Rechtsanwalt Dr. Fritzsche das Vertrauen der Staatspolizei genießt. Er ist zur Vertretung von Schutzhäftlingen bestens geeignet und dazu auch gewillt.
Im Januar 1940 leitete der Landgerichtspräsident Vorermittlungen gegen Fritzsche ein, da gegen ihn der ernstzunehmende Verdacht bestand, daß er im Zusammenhang mit seiner notariellen Tätigkeit Urkunden gefälscht habe. Ein sehr schwerwiegender Vorwurf, der jedoch mangels ausreichender Beweismittel nicht weiter verfolgt werden konnte.
Am 20. August 1935 hatte Fritzsche eine Urkunde für den Droschkenbesitzer-Verein gefertigt. Zu dieser Urkunde hatten die erst im Nachgang seitens der Vereins gutachterlich zu Rate gezogenen Rechtsanwälte Melzer und Drucker Bedenken angemeldet, die in einem Schreiben vom darauffolgenden Tag, also dem 21. August, ihren Niederschlag fanden. Diesen juristischen Bedenken war in der zu den Akten genommenen Urkunde vollumfänglich Rechnung getragen worden, obwohl diese Urkunde das Datum vom 20.08.1935 trug. Hieraus ergab sich der allerdings nicht hinreichend beweisbare Verdacht, daß Fritzsche den unzureichenden Vertrag am 22.08.1935 neu beurkundete, aber auf den 20.08. zurückdatiert und die ursprüngliche Urkunde vernichtet hatte.
Im Mai 1942 beschwerte sich eine Kölner Pelzgroßhandlung über den Notar Fritzsche bei der Reichsnotarkammer. Im Anschreiben des Präsidenten der Reichsnotarkammer an den Landgerichtspräsidenten bemerkt dieser zum Gegenstand der Beschwerde folgendes:
„Das Schreiben des Notars vom 12.05.1942 widerspricht den Pflichten, die dem Notar als Träger eines öffentlichen Amtes und unparteiischen Rechtswahrer und Berater sämtlicher Vertragsbeteiligten obliegen. Sowohl sachlich als auch der Form nach könnte das Schreiben eher von einem Staatskommissar mit Befehlsgewalt herrühren als von einem Notar als Rechtswahrer auf dem Gebiet vorsorgender Rechtspflege, der in öffentlicher Stellung zu Rat und Hilfe berufen ist. Die Drohung, die in dem Schreiben enthalten ist, ist ziemlich unverhüllt, und von Unparteilichkeit des Notars kann keine Rede sein.“
Der Landgerichtspräsident sprach gegen den Notar Fritzsche wegen dieser Vorgänge am 11. Mai 1942 eine Mißbilligung aus.
Das rabiate und herrische Vorgehen in dieser Sache war offensichtlich durchaus kein Einzelfall, sondern bestimmte die Persönlichkeit Fritzsches.
Eine überlieferte Beurteilung des Landgerichtspräsidenten Dr. Lorenz vom 21.08.1944 ergibt zur anwaltlichen Tätigkeit und Befähigung folgendes:
Rechtsanwalt Dr. Johannes Fritzsche gilt als überdurchschnittlich befähigt und begabt. Er besitzt auch den Ruf eines sehr erfolgreichen Anwaltes. Seine Praxis ist eine der größten in Leipzig. Seit mehreren Jahren bereits ist Dr. Fritzsche im Auftrag von Reichsstellen viel im Ausland tätig.
Er versteht die von ihm übernommenen Mandate mit augenfälliger Energie und ohne Schonung des etwaigen Gegners. Er verwies hierbei früher, d.h. in den ersten Jahren nach dem Umbruch, bisweilen auf die Autorität hinter ihm stehender öffentlicher Stellen.
Charakterlich zeichnet sich Fritzsche durch sein kampfesfreudiges Eintreten für die Bewegung vor 1933 aus. Während der Kampfzeit hat er zweifelsohne große Verdienste um die Bewegung erworben.
Die in dieser Beurteilung erwähnte Tätigkeit Fritzsches „im Auftrag von Reichsstellen“ verdient näherer Betrachtung.
Fritzsche hielt sich nachweislich im August 1941 wegen eines Auftrages im Reichsinteresse vier Wochen in der Schweiz auf. Ab 25.10.1941 reiste er in gleicher Mission wiederum für mehrere Wochen in die Schweiz und nach Italien. Ein Jahr später, am 10.12.1942, meldete er sich erneut wegen eines Auftrages im Reichsinteresse für eine Woche in die Schweiz ab.
Aus einem Schreiben des Landgerichtspräsidenten an den Arbeitsamtspräsidenten vom 12. März 1943, welches die Befreiung Fritzsches von dem befürchteten Arbeitseinsatz zum Gegenstand hatte, ergibt sich:
Noch im März diesen Jahres solle Fritzsche im Auftrag der Zollfahndungsstelle Magdeburg in die Schweiz reisen. Dieser Auftrag soll dem Deutschen Reich Devisen in Höhe von etwa 7000 amerikanischen Dollar erbringen.
Zuvor erledigte gleichartige Aufträge hätten dem Deutschen Reich bereits 200.000 Schweizer Franken erbracht.
Wörtlich heißt es:
„Reisen dieser Art könne er gerade deswegen mit Erfolg ausführen, weil dazu wegen des besonderen Charakters dieser Reisen besondere Personalkenntnisse notwendig seien, wenn die Reisen den gewünschten Erfolg haben sollten.“
und weiter:
„Ihres vertraulichen Charakters wegen ist für diese Transaktionen gerade Dr. Fritzsche hervorragend geeignet, da er verschiedene Vertrauensmänner in der Schweiz an der Hand hat, mit denen er unauffällig diese Geschäfte erledigen kann.“
Eine von Fritzsche zu dieser Zeit bearbeitete Wirtschaftssache soll dem Reich etwa 1,2 Millionen Schweizer Franken in Devisen erbringen. Darüber hinaus sollen von Fritzsche Devisenverschiebungen von Großkunden der ehemaligen Österreichischen Länderbank aufgedeckt worden sein. Fritzsche sei gegenwärtig mit der Aufklärung dieser Sache befaßt, welche ebenfalls enorme Beträge erbringen soll.
Mit einstweiliger Verfügung vom 27. März 1943 schloß der Gauleiter von Sachsen Fritzsche aus den Reihen der NSDAP aus. Gegen diesen Ausschluß ging der Anwalt durch alle Instanzen vor. Nachdem auch das Oberste Parteigericht der NSDAP in München mit seiner Entscheidung vom 04.07.1944 den Ausschluß bestätigt hatte, dachte er noch über einen Wiederaufnahmeantrag nach, zu dem es dann allerdings nicht mehr kam.
Allein hieraus läßt sich zweifelsfrei der Schluß ziehen, daß der Ausschluß aus der NSDAP keinesfalls seine Ursache in einem Umdenken oder Abwenden des Fritzsche von den nationalsozialistischen Machthabern oder gar gegnerischen Ambitionen hatte.
Dem NSDAP-Mitglied Dr. Johannes Fritzsche wurde nach dem vorliegenden Urteil der II. Kammer des Obersten Parteigerichts der NSDAP in dem Parteiausschlußverfahren vielmehr folgendes vorgeworfen:

1. Nach Erlaß der Meldepflichtverordnung vom 28.01.1943 hat er versucht, die Bestimmungen dieser Verordnung zu umgehen, indem er den Ehefrauen der einberufenen Rechtsanwälte Dr. Dietze und Bergner vorschlug, die Anwaltskanzleien zu vereinigen, um so auf eine Zahl von mehr als 5 Angestellten zu kommen und dadurch selbst der Meldepflicht zu entgehen.
2. Im Januar 1943 hat er dem Arbeitsamt Leipzig gegenüber falsche Angaben über den Umfang der Tätigkeit seiner Ehefrau beim Roten Kreuz gemacht, um seine Hausgehilfin behalten zu können.
3. Im September 1941 hat er seine Bereitwilligkeit zu einer Spende für das Winterhilfswerk davon abhängig gemacht, daß das Finanzamt eine von ihm als unbegründet bezeichnete Steuernachforderung fallen ließe.
Dr. Fritzsches jährliches Einkommen war von ca. 40.000,00 RM im Jahr 1935 auf über 150.000,00 RM im Jahr 1940 gestiegen. Nach der Machtergreifung 1933 konnte er sieben Grundstücke und im Jahr 1940 ein Landgut in der Niederlausitz erwerben.
Auch diese Vorwürfe lassen in keinem Punkt den Schluß zu, daß sich Dr. Fritzsche von der nationalsozialistischen Ideologie abwenden wollte. Vielmehr handelte er in allen Fällen aus rein persönlichen egoistischen Motiven.
Im März 1945 beantragte Fritzsche erneut die Bestellung eines Vertreters, da er im Reichsinteresse in diesen Tagen Aufträge in Süddeutschland zu erledigen habe.
Am 26. März 1945 erfolgte seine Verhaftung, deren konkrete Hintergründe bislang nicht zweifelsfrei und vollständig aufgeklärt werden konnten.
Fest steht, daß Fritzsche gemeinsam mit dem Steuerberater Dr. Rudolph Rentsch und dessen Sekretärin verhaftet wurde, als sie einen PKW besteigen wollten.
Zur Erhärtung der eingangs beschriebenen „Legende“ zum Widerstand Fritzsches trug bei, daß der mitverhaftete Dr. Rentsch ausweislich späterer Erklärungen jüdischer Bürger diesen tatsächlich bei der Auswanderung hilfreich zur Seite gestanden hatte. Es gibt jedoch keinerlei Hinweise dafür, daß Fritzsche von diesen Aktivitäten wußte oder gar an ihnen beteiligt war.
Das Verhältnis der beiden war offensichtlich vielmehr ein rein Geschäftliches. Wahrscheinlich war Dr. Rentsch auch Fritzsches Steuerberater hinsichtlich seines erheblichen Vermögens. Daß Fritzsche wegen Steuernachforderungen rabiate Auseinandersetzungen mit dem Finanzamt hatte, ergibt sich aus den Vorwürfen gegen ihn im Zusammenhang mit seinem Parteiausschluß.
Aus dem im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig erhaltenen Urkundenbuch des Notars ergibt sich weiter, daß Dr. Rentsch zwischen 1937 und 1944 durch Fritzsche insgesamt 13 Beurkundungen vornehmen ließ.
Die Tatsache, daß Fritzsche als Anwalt in einem für die damalige Zeit so typischen zivilrechtlichen Abstammungsprozeß mit Zustimmung der Reichsstellen vermeintliche jüdische Mischlinge vertrat, die nach ihrem Vortrag außerehelich geboren und daher nicht jüdisch sein sollten, taugt m. E. ebenfalls nicht, das Bild eines Gegners des Nationalsozialismus zu konstruieren.

Schlußbemerkungen

Das stetige Erinnern an die Naziopfer kann und muß auch Veranlassung sein, dafür Sorge zu tragen, daß über 50 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus die Grenzen zwischen Tätern und Opfern nicht vermischt werden.

Die dargestellten überlieferten Fakten belegen trotz vorhandener Lücken m.E. zweifelsfrei, daß Dr. Johannes Fritzsche weder als Antifaschist noch als Widerstandskämpfer oder Humanist geehrt werden kann und darf.
Im Juni 1946 schrieb ein früherer Leipziger Kollege an Martin Drucker:
„Ich litt mit Ihnen, soweit ein Dritter das vermag, unter der Ihnen zuteil gewordenen Diffamierung durch Fr… Er ist tot, er ist sogar als ‚Antifaschist‘ anerkannt worden. Mein Urteil ist dadurch nicht beeinflußbar.“

Vergleiche hierzu:
[1] Lang: Martin Drucker – Das Ideal eines Rechtsanwalts, Leipzig 1997, S. 110
[2] Vergleiche hierzu insbesondere: „Liste der im Kampf gegen den Faschismus getöteten Parteimitglieder und Sympatierende“ des SED-Parteivorstandsreferats Parteigeschichte aus dem Jahr 1948
[3] Hans-Dieter Schmid: Gestapo Leipzig, S. 55, Beucha 1997; S. 58
[4] STAL, Landgericht Leipzig Nr. 1424
[5] STAL, Amtsgericht Leipzig Nr. 814
[6] Schwendler: Menschen … Seid wachsam! in: Universitätszeitung Nr. 15 vom 12. April 1985
[7] STAL, Amtsgericht Leipzig Nr. 814
[8] Institut für Zeitgeschichte München; Sign. MA 108, Fasz. 4152
[9] Institut für Zeitgeschichte München, a.a.O
[10] Vossische Zeitung vom 20.03.1933
[11] Vergleiche auch: Personalakte Alfons David, Bundesarchiv Berlin, ZA Dahlwitz-Hoppegarten, Reichsgericht Gen. Nr. 320
[12] Der Bote von Geising und Müglitztal-Zeitung vom 03.10.1933, S. 6
[13] Lang, Hubert: Martin Drucker – Das Ideal eines Rechtsanwalts, S. 96 ff., Leipzig 1997
[14] Institute of Contemporary History and Wiener Library London, Index Number: P.II.b. 138
[15] Interview vom November 1954, Institute of Contemporary History and Wiener Library London, Index Number: P.II.b. 5

Erstveröffentlichung:
Düwell/Vormbaum (Hrsg.): Juristische Zeitgeschichte 5, Themen juristischer Zeitgeschichte (3), Baden-Baden 1999, S. 200 ff.