dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Dr. Wilhelm Kraemer
Notar

Berchtesgaden, den 31. März 1946.
Kanzlerhaus

Herrn
Justizrat Dr. M.   D r u c k e r
L e i p z i g

Lieber Herr Kollege Drucker!

Ich danke Ihnen herzlichst für Ihren Brief vom 9.d.M., insbesondere für die wohlwollenden Versuche mich wieder nach Leipzig zu ziehen. Wie Sie aber sehen, bin ich hier inzwischen bis zu einem gewissen Grade festgewurzelt, wenngleich ich meine Arbeit als Notar bisher nur der amerikanischen Militärregierung verdanke, während sich die bayrische Justizverwaltung noch passiv verhält. Nur die Notarkasse hat sich als Beitragsgläubigerin betätigt. Es ist natürlich gegenüber meiner Leipziger Tätigkeit nicht gerade eine Aufwärtsentwicklung, die ich genommen habe, denn es handelt sich im wesentlichen um ein ländliches Notariat, nur ganz gelegentlich kommen Berufsgeschäfte vor, die eine juristische Bearbeitung erfordern. Die große Mehrzahl sind Formalien, die ein mir zur Verfügung stehender gut eingearbeiteter Notariatsinspektor vorbereitet, so daß sich meine Tätigkeit auf Assistenz bei der Verlesung und unterschriftliche Vollziehung des Aktes beschränkt.
Trotzdem Sie die Aussichten einer Anwaltstätigkeit in Leipzig nicht ungünstig beurteilen, ich auch von (Georg) Benkard und (Heinrich) Schrömbgens ganz hoffnungsvolle Nachrichten erhalte, gibt den Ausschlag für mich doch die Unterkunftsfrage. Wir haben unser hiesiges Haus zu zwei Dritteln zu unserer eigenen Verfügung, ein Drittel mußte ich vermieten und habe natürlich bei der herrschenden Knappheit an Wohnraum keine Aussicht, wieder in den alleinigen Besitz des Hauses zu kommen. Auch besteht ja stets die Gefahr, daß ein Anwesen, wie das meine, in guter Lage mit schönem großen Garten auf die Besatzungsbehörde Anziehungskraft gewinnt, die in den letzten Wochen Quartiere für die Familien der Angehörigen der Besatzungsmacht und der kommenden Zivilverwaltung suchte. Aber selbst trotz diesen Gefahren wäre eine Übersiedlung nach Leipzig für uns mit mir unüberwindlich erscheinenden Schwierigkeiten verknüpft. Was wir an Hausrat noch in Leipzig aus dem zweiten Bombenunglück gerettet haben, ist bei dem drittem am 27. Febr. 45 verloren gegangen. Wir könnten also nur in Begleitung unseres hiesigen Hausrates dorthin zurückkehren.
So werde ich also auf die Freude eines Wiedersehens auch mit Ihnen aufs erste verzichten müssen. Von Dittenberger hörte ich, daß Sie auch die Neubelebung der juristischen Wochenschrift planen. Mich Ihnen als Mitarbeiter dazu anzubieten wage ich kaum, da mir am 27. Febr. 45 meine umfangreiche Fachbibliothek so gut wie völlig vernichtet worden ist, und ich hier auch an anderen Stellen kaum das notdürftigste literarische Material finden kann. Vorläufig wird die Frage wohl aber nicht akut sein, jedenfalls habe ich außer jener Mitteilung von Dittenberger noch nichts wieder von dem bevorstehenden Wiedererscheinen einer juristischen Zeitschrift gehört.
Ihren Fräulein Töchtern bitte ich mich zu empfehlen und verbleibe mit freundschaftlichen Grüßen

Ihr sehr ergebener Kraemer