dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Hamburg-Lokstedt, den 12. August 1946
Siemersplatz 4

Lieber Herr Justizrat !

Ihren Brief vom 3. August habe ich heute erhalten und mich sehr gefreut, daß Sie wieder ganz gesund sind. Machen Sie so weiter in alter Frische.
Ich bin hier gut aufgehoben und warte darauf, entweder die Einreise nach England oder zu meinem Sohn nach Argentinien zu bekommen. Letzteres wäre mir sogar viel sympathischer. Mein Sohn hat am 21. Juli meiner Frau geschrieben, daß seine Ausweispapiere nun endlich ausgestellt würden und daß er nun zur Einwanderungsbehörde gehen und ein Gesuch stellen würde, auf Grund dessen er seine Eltern kommen lassen könnte. Das würde schnell gehen und wahrscheinlich auch Erfolg haben, da er beweisen könne, daß er uns ernähren könne.
Was die Einreiseerlaubnis nach England betrifft, so können z.Zt. in erster Linie nur einwandern Ehemänner oder Ehefrauen von bereits in England weilenden Ehepartnern, die wegen Alter, Krankheit oder besonderer Umstände außerstande sind, sich zu erhalten. Alle Schritte müssen von den in England lebenden Verwandten getan werden und zwar beim Friends Committee for Refugees and Aliens, Bloomsbury House. Dieses benachrichtigt das Public Safety Department der britischen Besetzungsbehörde, und wenn dessen Feststellung ein günstiges Ergebnis hat, werden die zur Einwanderung Berechtigten zur nächsten britischen Militärregierung bestellt und wird dort alles weitere eingeleitet. Diese Sache wird meines Erachtens noch eine ganze Zeit dauern, und ich bin garnicht so scharf darauf nach England zu segeln. Jedenfalls wird man abwarten müssen.
Sevin hat mir nur die Zuzugsgenehmigung nach Husum beschafft, die allerdings die Grundlage dafür war, daß ich Ende Juni in die britische Zone einreisen konnte, Ich hatte dann das Glück, hier in Hamburg bleiben zu können.
Wie ich Ihnen schon mündlich sagte, bin ich immer sehr gern in Leipzig gewesen, trotz allem, was ich dort mitgemacht habe. Besonders schön war es aber in Leipzig nach meiner Rückkehr aus Theresienstadt, und ich hoffe, daß ich später noch einmal wieder nach Leipzig zurückkehren werde. Die Ernährungsverhältnisse in Deutschland werden sich meines Erachtens im Laufe der Jahre wieder bessern, und dann bleibt Deutschland eben Deutschland.
Ich werde Sie weiter über mein Ergehen auf dem Laufenden halten und wünsche Ihnen weiter beste Gesundheit und alles Gute.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr stets ergebener und dankbarer Gerhard Riess

P.S. Wie Sie wissen, lebt in Meusdorf das Kind meines verstorbenen Sohnes Gerhard, das jetzt schon über drei Jahre alt ist. Es ist schade, daß der Junge sich in dieser Proletenfamilie befindet, ich habe aber vor meiner Abreise noch einen gewissen Herrn (Bäckermeister Horst) Seidel in der Hoferstr. 3/III, der für die Opfer des Faschismus tätig ist, beauftragt, sich ständig um das Kind zu kümmern.

Anmerkung:
Der erwähnte außereheliche Sohn des umgekommenen Sohnes Gerhard Riess (1922-1942) ist Gerhard Schüler (* 1943). Seine Mutter war Hilda Schüler.