Dr. Wilhelm Kraemer
Rechtsanwalt am Reichsgericht
Berchtesgaden, den 16. Dezember 1945
Haus Maria Elisabeth

Herrn
Justitzrat Dr. Drucker
Leipzig C 1
Europahaus am Augustusplatz

Lieber Herr Kollege Drucker!

Ich habe durch unseren gemeinsamen Freund Dittenberger Ihre neue Adresse und die Wiederaufnahme Ihrer Berufstätigkeit erfahren und möchte Sie herzlichst dazu beglückwünschen. Die Umstände, unter denen Sie neu beginnen müssen sind gewiß denkbar ungünstig, trotzdem habe ich keinen Zweifel daran, daß Ihnen das überhaupt mögliche Gelingen beschieden sein wird.
Ich habe Leipzig bereits Anfang Februar in Ausnützung einer sich mir bietenden Reisegelegenheit hierher verlassen. Am 27. Febr. ist dann auch mein nach dem Unglück vom 20. Febr. 1944 wieder hergestelltes Büro mit fast meiner gesamten Bibliothek und dem größten Teile der Akten verbrannt und seit Anfang April war jede Verbindung mit Leipzig für mich abgebrochen. Erst vor einigen Wochen erfuhr ich druch Benkard und meine Sekretärin Frau Müller einiges über die Ereignisse in Leipzig und wurde dadurch in meinem Entschluß, nicht dorthin zurückzukehren, nur bestärkt. Hier habe ich durch den Bombenangriff vom 25. Apr. d. J. keinerlei Schaden erlitten. Meine Familie ist mit Ausnahme meiner ältesten, in Berlin zurückgebliebenen Tochter seit der Rückkehr meines Sohnes aus dem Kriege um mich versammelt.Die mir verbliebenen Arbeitskräfte nütze ich als Mitarbeiter des Treuhänders der Militärregierung für das frühere Wehrmacht- und Parteieigentum einigermaßen aus.
Sollte es Ihre Zeit einmal erlauben mir zu schreiben, würde ich mich herzlich freuen.

Mit freundschaftlichen Grüßen
Ihr sehr ergebener
Kraemer