dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Dr. Eberhard Forche
Nabburg/Opf.
Nikolaistrasse 302

Nabburg, d. 6.X.1945

Lieber Fempe,

gar oft habe ich in den vergangenen Monaten Ihrer gedacht und mir Gedanken gemacht, wie Sie und die Ihren wohl die gefahrvollen Ereignisse dieses Jahres überstanden haben mögen. Aber heute, an Ihrem Geburtstag denke ich wieder mit besonderer Herzlichkeit an Sie und bedauere es lebhaft, dass ich Ihnen meine Grüsse und Glückwünsche nicht zum heutigen Tage bringen geschweige dann persönlich ausrichten kann. So muss ich warten, bis die Post endlich wieder in alle Zonen geht, was vermutlich in nächster Zeit eintreffen wird, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Briefe, die ich Reisenden nach anderen Gebieten mitgegeben habe, im allgemeinen nicht angekommen sind.
Nun, lieber Fempe, wünsche ich vor allem, dass Sie den heutigen Tag bei guter Gesundheit verleben. Vermutlich sind Renate, Ursel und die Enkelkinder um Sie versammelt und Sie können nach den vergangenen traurigen Jahren wieder Hoffnung und Pläne für eine …, friedliche Zeit hegen. Wünschen möchte ich auch, dass Ihre Leipziger Wohnung in der Schwägrichen Strasse vor weiteren Zerstörungen bewahrt worden ist und Sie es wieder zu dem geschmackvollen und kultivierten Heim ausgestalten können, wie es mir aus meiner schönen Leipziger Zeit her in unvergesslicher Erinnerung geblieben ist und .. bleiben wird.
Mir persönlich geht es verhältnismässig gut. Die Ernährung bei Bauern ist wesentlich besser als in anderen Gegenden. Die Besetzung ist ziemlich gemässigt vor sich gegangen. Lediglich durch ausgedehnte Plünderungen von Russen und Polen habe ich noch zum Teil meiner …, durch alle Angriffe geretteten Sachen verloren. Industrie und Verkehr kommen nur sehr schleppend in Gang. Das Reisen war bis vor kurzem völlig verboten und ist auch jetzt noch bei den spärlich verkehrenden Zügen mit grossen Schwierigkeiten verbunden.
Von meinen Eltern habe ich leider noch keine Nachricht. Sie waren im Januar aus Breslau nach Neundorf bei Stadt Wehlen in der Sächs. Schweiz geflüchtet, wo ich bei Bekannten aus Hannover Sachen verlagert hatte. Das Dorf ist dann mit Bomben belegt worden, wobei meinen Eltern wie durch ein Wunder nichts passierte. Ich war zu Ostern dort, um sie nach Nabburg zu holen. Aber meine Mutter und meine Schwester waren so krank – verschlimmerte Folgen der Flucht in der Kälte aus Breslau – dass sie nicht reisefähig waren. Seitdem habe ich nichts mehr von ihnen erfahren. Kämpfe sollen in der Gegend nicht gewesen sein. Die Breslauer Gegend, in der wir wohnten, ist durch die schweren Kämpfe völlig vernichtet. Um meine Eltern mache ich mir vor allem in gesundheitlicher und ernährungsmässiger Beziehung ernsteste Sorgen. Wenn mein Vater unversehrt ist, hat er vermutlich bereits nach Leipzig geschäftliche Verbindung aufgenommen.
Nun hoffe ich, von Ihnen bald eine möglichst günstige Nachricht über Ihr Wohlergehen zu erhalten, und bleibe mit den besten Wünschen und herzlichsten Grüssen

Ihr getreuer Eberhard Forche.