dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Doktor Kurt Eckstein
Rechtsanwalt und Notar
Leipzig 01, Schwägrichenstraße 5
6. März 1944

Einschreiben!

An den Herrn Reichsminister der Justiz
Berlin W 8
Wilhelmstraße 65

Zur Versetzung meines Sozius, Justizrat Dr. Drucker in den Ruhestand bitte ich mir einige Ausführungen zu gestatten.  Unsere Anwaltsgemeinschaft ist auch in den letzten Jahren sehr stark beschäftigt gewesen. Dr. Drucker, dessen Arbeitskraft trotz seiner Jahre nicht nachgelassen hat, bearbeitete, als ihn die Versetzung in den Ruhestand öffnet wurde, mehrere hundert laufende Sachen, unter denen sich zahlreiche umfangreiche und verwickelte befanden. Deren Überleitung auf mich würde selbst unter normalen Umständen bedeutende Schwierigkeiten verursacht und beträchtlichen Zeitaufwand erfordert haben. Durch die mit Schreiben vom 7. Dezember 1943 angezeigte Vernichtung unserer Kanzlei mit allen Akten haben sich aber Verhältnisse herausgebildet, durch die jene Schwierigkeiten außerordentlich gesteigert worden sind. Wir haben zwar, da ein mir bereits zugeteiltes Büro in der inneren Stadt nicht bezogen werden konnte (ein anderer Anwalt hatte es inzwischen gemietet) unverzüglich in Dr. Druckers und seines im Felde stehenden Sohnes Privatwohnung den Wiederaufbau mit Unterstützung der uns verbliebenen Angestellten begonnen. Die dabei zu überwindenden Hindernisse zeigen, aber einen nicht vorausgesetzten Umfang. Wir sind noch immer ohne Fernsprechanschluß, dasselbe gilt von manchen Behörden, vielen anderen Kanzleien und insbesondere von weiten Kreisen der Klientel. Die notdürftige Rekonstruktion jedes einzelnen Aktenstückes erfordert, wenn sie überhaupt gelingt, ganz erhebliche Mühe, weil nur allzu oft die Akten und sonstigen Schriftstücke bei den in Frage kommenden Behörden, Banken, Anwälten, Klienten vernichtet worden sind. Diese mißlichen Verhältnisse haben vor Kurzem eine weitere Verschärfung erfahren. Durch die erneuten schweren Bombenangriffe auf Leipzig in der Nacht zum 20. Februar und am Mittag desselben Tages sind wiederum wichtige Verbindungen zerrissen worden. Namentlich hat aber die Beschäftigung unserer Angestellten einen sehr heftigen Stoß erlitten. Unserem Büroleiter, der durch die völlige Vernichtung seines Heims seelisch schwer getroffen worden war, mussten wir ein vierwöchigen Erholungsurlaub gewähren. Der andere männliche Angestellte, der auch das 60. Jahr schon überschritten hat, bedurfte nach dem 20. Februar längerer Schonung. Jetzt soll er außer seinen eigenen Aufgaben auch die des Büroleiters bewältigen. Unsere ersten Stenotypistin konnten wir nach schweren Schicksalsschlägen einen wenn auch nur zweiwöchigen Urlaub nicht versagen. Die andere Stenotypistin hat durch die Terrorangriffe am 20. Februar die Mutter und Schwester ihres Ehemanns verloren und konnte seitdem nur mit Unterbrechungen und Verkürzungen arbeiten. Alle diese Angestellten sind durchaus pflichttreu und arbeitswillig,  aber den Einwirkungen der grausigen Ereignisse in Leipzig gegenüber sind ihre Nerven nicht robust genug.-

Diese und manche anderen Umstände haben verursacht, dass trotz angestrengter Arbeit die von Dr. Drucker nicht minder als von mir selbst erstrebte Überleitung der Mandate auf mich bisher nur teilweise gelungen ist. Ich war von jeher selbst ausreichend beschäftigt und den Klienten schuldig, ihre Angelegenheiten nicht durch die Übernahme der von Dr. Drucker bearbeiten Sachen zu vernachlässigen. Ohne die geschilderten Schwierigkeiten hätte ich die Übernahme seiner Mandate wohl bewältigt. Aber die nur von geringsten Teile in den neu hergestellten Akten ersichtlich zu machende Information konnte mir von Dr. Drucker nicht mündlich übermittelt werden. Ich verkenne nicht, dass auch beim Ableben eines Rechtsanwalts dessen Praxis fortgeführt zu werden pflegt, also seine Mitwirkung nicht nötig ist. Punkt. Aber diese Fälle unterscheiden sich von der hier gegebenen Lage gerade dadurch, dass hier alle Akten und Aufzeichnungen fehlen. Bei reiflichster Erwägung aller zu berücksichtigen Gesichtspunkte vin ich zu der Überzeugung gelangt, daß die Abwicklung der bisher von Dr. bearbeiteten Mandate zur sachgemäßen Betreuung der Auftraggeber erforderlich. mithin im Interesse der Rechtspflege gelegen ist.

Ich erlaube mir daher, nunmehr meinerseits die Bitte vorzutragen, den Zeitpunkt, zu dem Justizrat Dr. Drucker in den Ruhestand tritt, nochmals um mehrere Monate hinauszuschieben.