dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Kitzingen, Main 12. Sept. 1946
Wörthstraße 28

Sehr geehrter, lieber Herr D.!

Ich habe heute Nacht so intensiv von Ihnen geträumt, dass ich Sie unbedingt schreiben muss. Zwar es ist keine leichte Aufgabe, es fehlt Papier, es fehlt Couvert, die Tinte ist vertrocknet und der Füllfeder ist sehr beschädigt, aber ich versuche doch, bitte im voraus alles unleserliche Fehlen zu verzeihen.
Sie ahnen gar nicht was für eine Freude wir hatten, als wir Ihren ersten Brief bekamen. Zwar war die Freude mit einem grossen Tropfen Wehmut vermischt, als wir die furchtbaren Nachrichten über Ihre beiden hoffnungsvollen Buben erfuhren. Und das ausgerechnet Sie, der Antifaschist,Ihre beiden Söhne hergeben mussten, ist eine grosse Ungerechtigkeit. Genau (so) ist es gegangen bei von Godin in Berlin vielleicht noch eine Nuance schlimmer als ich als Anti-Nazi und das wird viel sagen, hat seine beiden Söhne in diesem wahnsinnigen verbrecherischen Blutbad hergeben müssen. Es ist mehr als ungerecht. Aber … wer weiss was für eine Zukunft unsere Jugend hat. Wir haben wenigstens unsere schöne Vergangenheit, an deren Erinnerungen wir uns immer noch erfreuen können. Wissen Sie noch unsere Reise in Paris, wo Sie auf dem Printemps (die) Rolltreppe herauf und herunter fuhren und schliesslich im  …? anlangten, wo Sie den schönen Aschenbecher „toute dame elegance s’habille“ an …?, für mich klauten. Den Aschenbecher hatte ich jahrelang auf meinem Nachttisch gehabt.
Oder Wien, den Ausflug in dem Landhaus. Von dem alten Backkasten? mir den schönen Familienbildern! Und Noburo?! Das waren Sie wie ein ausgelassener Student. Ich erinnere noch, dass Sie wunderschöne seidene Socken hatten, mit denen ich Sie dauernd neckte. Und wir haben zusammen auf dem Martkplatz herrliche Bratwürstle genossen. Und noch so viele, viele schöne Erinnerungen! Wenn es draussen trübe ist, und der Magen …? vor den Kartoffeln mit Quark, dann denkt man an die Genüsse (Sie waren darin ein Meister der …Kunst) und dann wird einem wohler.Beim Schreiben aller dieser Erinnerungen, lache ich laut aus und mein Mann, der fleissig seine Urteile über der Schreibmaschine tippt, will eine Erklärung haben. Er sagt, es sei frivol so etwas zu schreiben, wo Sie so schrecklich viel trauriges durchgemacht haben, aber Sie werden doch fühlen, wie wir mit Ihnen trauern, und dass es gut tut, auch an etwas anderes zu denken.
Wir haben übrigens sehr gezittert, als wir hörten, dass es Ihnen so schlecht gegangen ist und sehr gefreut über Ihre Genesung. Nun dürfen Sie nicht mehr so schwer schuften, sondern mehr an Ihre Gesundheit denken, was Sie überhaupt nie getan haben. Ich erwarte täglich ein Paket aus der Schweiz und da sollen Sie auch etwas davon bekommen. Ich habe übrigens seit 2 Monaten mein Einsreisevisum in die Schweiz erhalten, bekomme ich neuerdings kein Ausreisevisum, genau wie bei den Nazis. Das Gen. Konsulat München hatte mir zwar seinerseits zugesichert, dass es selbst die Ausreise besorgt für Schweizer und gebürtige Schweizerin.

30. Sept.
Mein Brief hat so lange geruht. Desto älter ich werde, desto mehr habe ich zu tun. Der Haushalt, Besorgungen, Besuche, den ganzen Tag ist was los. Übrigens, ich bin nicht restlos mit den Bayern einverstanden. Erstens haben sie uns den wahnsinnigen und blöden Kerl auf den Hals geschickt, anstatt ihn an den Galgen zu schicken, sie haben mit dem Nazitum ganz Deutschland vergiftet, 95% der Bevölkerung haben mit oder ohne Begeisterung mitgemacht und jetzt brüsten sie sich mit der frisch errungenen Demokratie und sagen, sie wären nie Anderes gewesen in ihren Herzen, aber sehr, sehr versteckt; genau damals im Sept. 33 bei dem ersten „Juristentag“ in Leipzig, wo der Senatspräsident (Friedrich) O(e)gg oder Okk in Vertretung Bumkes sich an die Brust schlug und deklamierte am Balkon des Reichsgerichts vor dem gesamten Publikum: „Wir am Reichsgericht  sind in unserem Herzen immer Nationalsozialisten gewesen.“ – Wenn man das gehört hat, braucht man sich nicht über die Katastrophe, die über Deutshcland gekommen ist, zu wundern. Nur schade um die unschuldigen …? mit leiden müssen. Ich bin aber (zu) der Ansicht gekommen, dass wir alle die Gegner dieser verbrecherischen „Abenteurer“ protestartig Deutschland hätten verlassen müssen und ich werde bis (an) mein Lebensende bereuen, es nicht getan zu haben, und wenn wir hätten betteln müssen. Aber es ist eben. wir haben an unsere Möbel, Sachen usw. gehängt,wir haben die Armut in einem anderen Land gescheut und deshalb sind uns auch alle die Sachen, an denen wir gehängt haben, so genommen worden …?
Wie wäre es, wenn Sie uns mal besuchen würden? Schlafgelegenheit haben wir. Kartoffeln sind auch genug da, 20 Centner habe ich eingekellert, und ein frischen …? dazu, 1 Bocksbeutel werde ich schon „tauschen“ können, sie können sicher herrlich ausruhen und wir würden uns richtig freuen, von schönen alten Zeiten zu sprechen. Wir haben schon viel Gäste gehabt, auch der Sohn des alten Hackenbuch?, ein reizender Mensch, der auf die verrückte Idee …? nach Deutschland zurückzukehren.
Unseren Kindern geht es allen gut, was ich von Ihren hoffe. Ich hätte noch stundenlang zu schreiben, ich muss aber meinen Eierkuchen backen. Außer den eingekellerten Kartoffeln, haben wir noch 2 Hühner und Paar Küken. Den dicksten hebe ich auf für Herren Besuch. Sie kommen zwar vom Urlaub, aber machen Sie es wie der alte H. der alle drei Monate 14 Tage auf Urlaub ging. …
Alle würden sich sicher richtig auf Herren Besuch freuen.
… pflegte er zu sagen. Mit herzlichen Grüssen von meinem Mann, Babeli und Chiffronette, aber insbesondere von Ihrer Estelle Dittenberger.
Unterdessen ist das Schweiz-Paket angekommen und der Käse schon abgeschickt.