dr. jur. Hubert Lang

Nachlass Martin Drucker, Briefe und Fotos

Dr. Kurt Eckstein
Rechtsanwalt und Notar
Leipzig C 1, den 9.6.53
Goethestraße 2 (Kroch-Hochhaus), 5. Stock

Fräulein
Dr. Renate Drucker
Leipzig S3
Kurt-Eisner-Str.

Liebe Renate!
Wie mir Schmitz gesagt hat, seid Ihr der Auffassung, daß die Beibringung der Erbscheine nur in meinem Interesse liege, und deshalb die Kosten vom Büro aus bezahlt werden müssten.
Das ist unrichtig.
Die Hypothek ist seinerzeit von Gerson Beilin in Paris an Deinen Vater abgetreten worden, und zwar an ihn allein, da ich die Unterschrift notariell zu beglaubigen hatte. Es handelt sich aber immer juristisch um eine von Deinem Vater übernommene Verpflichtung, die Hypothek zunächst treuhänderisch zu verwalten und dann auf den Berechtigten umzuschreiben; obwohl das nun die Kanzlei sein würde oder ein von der Firma Gebr. Beilin namhaft zu machender neuer Gläubiger, das wusste man im Februar 1938 natürlich nicht. Die Hypothek sollte als Sicherung für unsere Kostenforderung dienen. Die Hypothek war damals formell auf Gerson Beilin in Paris eingetragen, stand aber in Wirklichkeit nicht etwa ihm zu, sondern Simon Beilin. Der Grundstückseigentümer von der Funkenburgstraße hatte das alleinige Verfügungsrecht auch über diese Hypothek. Die Hypothek war mit 6 % verzinslich eingetragen, Zinsen wurden aber nicht bezahlt, weil ja Simon Beilin auch der Grundstückseigentümer war. Als dann später nach Kriegsende die Verbindung mit Familie Beilin aufgenommen wurde, stellte sich heraus, dass sowohl Simon Beilin, der über alles auf das Genaueste unterrichtet war, als auch Gerson Beilin inzwischen verstorben waren. Aber auch die Witwe Simon Beilin’s, Lina Beilin, und ihr Schwiegersohn Tager, die beide in London leben, sind über die Abtretung der Forderung an Deinen Vater unterrichtet. Eine Umschreibung im Grundbuch konnte im Jahr 1938 nicht bewirkt werden, weil Gerson Beilin Jude war und Juden, auch wenn sie im Ausland wohnten, keine Änderungen im Grundbuch erzielen konnten. Es hätte also nichts im Wege gestanden, 1945 Deinen Vater in das Grundbuch eintragen zu lassen, obwohl diejenigen Kosten, zu deren Sicherung die Hypothek in erster Linie bestimmt war, nämlich meine Reise nach Paris und London, inzwischen beglichen waren. Die Kosten des Strafprozesses und die Kosten der Vermögensverwaltung hatten zum weitaus grössten Teil noch aus dem hiesigen Vermögen bezahlt werden können und es sind nur noch Kosten für die Vermögensverwaltung ab 1.1.1944 rückständig.
Die an Simon Beilin aus Büromitteln gegebenen 20.000 RM auf dem Grundstück in der Südstraße waren nach dem Ausscheiden Deines Vaters aus der Anwaltschaft von mir übernommen und mit ihm verrechnet worden. Wir haben weder damals noch nach Kriegbeendigung an die Hypothek gedacht, die ja zinslos war und deren Vorhandensein uns infolgedessen auch gar nicht in das Gedächtnis zurückgerufen worden war; sonst wäre es natürlich angebracht gewesen, diese Hypothek dem Bürovermögen zuzuführen und mit dem übrigen Beilinschen Vermögen zu versteuern. Ich hätte ja für die Firma Gebr. Beilin, die noch heute im Handelsregister eingetragen ist und die ich im Auftrage des Staates 1946 weiter in Verwaltung bekommen hatte, auch die 15.000,– mitversteuern können. Seit 1.4.1946 war ja die hohe Vermögenssteuer zu entrichten, selbst wenn die betreffende Hypothek keinerlei Zinsen brachte. Man hätte dann natürlich die Zinsen, die ja lt. Eintragung im Grundbuch tatsächlich zu Recht bestanden, bei den Grundstücksausgaben einzusetzen gehabt. Das ist nun alles unterblieben und wurde erst mir in die Erinnerung zurückgerufen, als die Investbank von mir Angaben darüber verlangte, an wen ich als Grundstücksverwalter bisher die Zinsen für die Hypothek Gerson Beilin gezahlt hätte. Als ich daraufhin mitteilte, daß die Hypothek schon seit 1938 an Deinen Vater abgetreten sei, wurde verlangt, dass Gerson Beilin im Grundbuch gelöscht werde und zunächst Dein Vater und dann nach erfolgter Abtretung ich einzutragen sei.
Aus vorstehender Darstellung ist nicht nur zu entnehmen, daß es sich um eine Verpflichtung der Erben Deines Vaters handelt, bei der Umschreibung mitzuwirken, sondern das auch noch die Erhebung von Vermögenssteuer zu erwarten steht. Da nun die Forderung im Jahre 1938 nicht an die Kanzlei, sondern an Deinen Vater allein abgetreten worden ist, so würden die Steuern von Euch zu entrichten sein. Ihr hättet aber den Anspruch, die Hälfte der Steuern von mir zurückvergütet verlangen zu können. Dein Vater und seine Erben einerseits und ich andererseits hätten wiederum Absprüche gegen die Familie Beilin auf Rückerstattung der Steuern, die aufgrund der Hypothekenabtretung an Deinen Vater zu entrichten wären.
Diese verzwickte Rechtslage wird noch unübersichtlicher dadurch, daß nach den in der DDR ergangenen Gesetzen die Familie Beilin nicht berechtigt war und ist, irgendwelche Verfügungen über ihr hier befindliches Vermögen zu treffen. Ob der Anspruch gegen Deinen Vater bzw. gegen mich (sobald ich eingetragen bin) auf Rückgängigmachung der Abtretung bestehen würde oder ob, entsprechend den seinerzeit getroffenen Vereinbarungen, ein derartiger Anspruch der Familie Beilin unbegründet wäre, ist völlig zweifelhaft.
Ebenso unklar ist, ob Ihr oder ich für die jetzt nachzuzahlende Vermögenssteuer persönlich haften und ob wir die Vermögenssteuer von der Familie Beilin oder dem Staat zurückverlangen können. Das einzig Gute ist, daß in unserem Falle wohl nicht erst Erörterungen darüber angestellt zu werden brauchen, ob Gerson Beilin oder Simon Beilin oder deren Erben nach Kriegsende das Gebiet der DDR ohne sich abgemeldet zu haben, verlassen haben. Die Verordnung vom 17.7.52 (§ 6) findet zwar nicht direkt Anwendung, wenn es sich um Ausländer handelt, wird aber analog angewendet, infolgedessen steht dem Staat das Recht zu, das ausländische Vermögen in Schutz und Verwaltung zu nehmen.
Aber auch die Investbank vertritt den Standpunkt, daß angesichts der im Jahre 1938 an Deinen Vater erfolgten Abtretung die Hypothek nicht ausländisches Vermögen sei. Ehe aber die Frage nicht geklärt ist, ob nicht die Kanzlei für die Beilin’schen Erben für Zahlung der Steuern haftet, kann natürlich von der Hepner’schen Überweisung nichts abgezweigt werden. Im übrigen wäre das auch schon um deswillen nicht angängig, weil der Steuerprüfer von 1952 erklärt hat, daß, nachdem solange Zeit seit dem Tode Deines Vaters verstrichen sei, ein Anspruch auf Beteiligung an den Büroeinahmen von der Steuer nicht anerkannt werden könne.
Ich bringe ja natürlich vollstes Verständnis dafür auf, daß Ihr nach Möglichkeit Steuern vermeiden wollt. Aber andererseits ist es doch eben so, daß es sich bei meinen Zahlungen entweder um Einkommen handelt, das dem Vater bezw. den Erben nachträglich nach seinem Tode zugeflossen ist oder um Vermögen, das der Erbschaftssteuer unterliegt. Durch die Hypothek Gerson Beilin würde übrigens meines Erachtens keine Erhöhung der Erbschaftssteuer einzutreten haben; denn es bestand ja die Rechtsverpflichtung Deines Vaters, die Hypothek treuhänderisch für die Anwaltsgemeinschaft zu verwalten und auch der Anwaltsgemeinschaft stand kein freies Eigentum an der Hypothek zu, sondern die beiden beteiligten Anwälte hatten die Verpflichtung, die Hypothek der Familie Beilin wieder zurückzuzedieren, sobald ihr gegenüber keinerlei Ansprüche mehr bestanden. Aber vielleicht hätte der Vater doch schon entweder vor oder nach 1945 die Verpflichtung gehabt, die Eintragung der Hypothek auf sich vornehmen zu lassen und daraus die steuerlichen Folgen zu ziehen.
Bitte besprich die Angelegenheit auch mit Deiner Schwester und Schwägerin und gib mir gelegentlich Bescheid.
Die Kosten für den Erbschein werde ich durch Schmitz bezahlen lassen.

Besten Gruß

Dr. Eckstein